Ryszard Kapuściński
An der Borderline
War der große Reporter Ryszard Kapuściński auch ein Dichter?
© AFP
Ryszard Kapuscinski in seinem Warschauer Büro im Jahr 2003
Der Reporter kommt an, ein Schuss fällt. Das Opfer sinkt in seine Arme und haucht die letzten Worte: »Morgen um fünf, die Revo…« Und tatsächlich findet zur genannten Zeit ein Staatsstreich statt. Es gibt Reporter, die immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Der 2007 verstorbene Ryszard Kapuściński gehörte zu dieser Spezies. Wo immer es brannte, er war da, und oftmals war er der einzige schreibende Zeuge. Er hat von den Umstürzen und Aufbrüchen in der postkolonialen Ära berichtet und jenseits der immergleichen Stereotype ein anderes, ein empathisches Bild der sogenannten Dritten Welt gezeichnet. Er wurde von uns Korrespondenten bewundert und beneidet, seine polnischen Landsleute adelten ihn als »Journalisten des Jahrhunderts«.
Nun ist eine Biografie erschienen, die das Denkmal demontiert. Artur Domoslawski, ein Vertrauter Kapuścińskis, behauptet, der Weltreporter habe in seinen Reportagen nicht nur kräftig manipuliert, sondern Geschichten erdichtet und sogar Begegnungen erfunden, zum Beispiel mit Che Guevara oder Patrice Lumumba. Kapusciński – ein Lügenbaron? So weit geht der Biograf nicht, aber er weist nach, dass es sein Held mit den Grenzen zwischen Literatur und Journalismus nicht so genau nahm. Er war ein Borderline-Schreiber, der bisweilen Fakten und Fiktionen vermischte.
Ingen kommentarer:
Send en kommentar