onsdag den 17. marts 2010


Anne Weber: Luft und Liebe
Von einer, die auszog, ein Märchen zu leben
Von Sandra Kegel

DruckenVersendenSpeichernVorherige Seite
12. Februar 2010 Das letzte Wort ist geschrieben, das Manuskript fertig.“ Anders, als man es erwarten würde, ist das nicht der letzte Satz des neuen Buches von Anne Weber, sondern der erste. In ihrem sechsten Buch setzt die Autorin aufs Neue ein literarisches Ich in die Welt, das aller postmodernen Subjektivitätsdiskurse zum Trotz von der Person Anne Weber kaum zu trennen ist. Und doch wünscht man sich bald nichts sehnlicher, als dass es sich bei „Luft und Liebe“ tatsächlich nur um die fiktive Aneignung vom Leben handeln möge, auch wenn die Ich-Erzählerin, die wie Anne Weber eine in Paris lebende Schriftstellerin ist, unentwegt beteuert, das Unglück, von dem hier erzählt werden soll, sei ihr selbst widerfahren.

Es ist eine banale Geschichte wie aus einem Groschenroman, die hier in der doppelten ersten Person erzählt wird, der bevorzugten Zentralperspektive Anne Webers: Die Schriftstellerin hat sich verliebt, und der Mann liebt zurück. Beide sind nicht mehr die Allerjüngsten, und während sie die Pariser Solitude schon seit einiger Zeit satthat, scheint er, ein Adliger aus alter französischer Familie samt Märchenschloss in der Provinz, zu allem bereit. Das Paar denkt an Hochzeit, will zusammenziehen, man besucht die Eltern der Braut und wünscht sich ein Kind. Hierfür werden sogar die Dienste der Reproduktionsmedizin in Anspruch genommen. Alles läuft so wunderbar, dass es an ein Märchen grenzt. Bis dann, völlig unerwartet, der Traum der großen Liebe platzt.

Balzac muss das aufschreiben
Die unerhörte Begebenheit, auf die das Geschehen unaufhaltsam zusteuert und deren zentrales Motiv ein schlichter Plastikbehälter ist, soll hier aus romanrätseltechnischen Gründen verschwiegen werden. Dass es aber zur Katastrophe kommen wird, erfahren wir schon auf der ersten Seite, und auch, das sich die Heldin bis zur letzten Seite von dem Ereignis nicht erholen wird, für dessen Schilderung es ihrer Einschätzung nach „eines französischen Autors des neunzehnten Jahrhunderts, vielleicht eines Balzac“, bedurft hätte. Aus Verzweiflung, gesteht die Anne Weber des Romans, hat sie über die verpatzte Liaison bereits ein Buch geschrieben. Weil sie aber eben nicht Balzac ist, landet das Manuskript mit dem Titel „Armer Ritter“ nicht bei einem Verlag, sondern in Anne Webers Papierkorb.

In diesem missratenen Werk, von dem zu Beginn des Romans unentwegt die Rede ist, hat die Verfasserin die Charaktere so verfremdet, dass niemand Verdacht schöpfen soll, sie habe die Geschichte womöglich selbst erlebt. Sie tat so, „als sei das alles nicht mir, sondern einer anderen widerfahren, einer engen Freundin etwa“. Man kennt diese Finten. An Verschiebungen dieser Art, wie sie noch den „plumpesten Romanciers“ gelingen, scheitert die Roman-Erzählerin auf ganzer Linie. Vor allem wohl deshalb, weil die Geschichte nun einmal „wie geschaffen ist für einen schlechten Roman“.

Flucht in die fiktionale Parallelwelt

Anne Webers heiterer Ton kann über die Verzweiflung indes nicht hinwegtäuschen. Die Autorin flüchtet mit gleich zwei Versionen dieser angeblich wahren Geschichte, von denen freilich nur eine veröffentlicht wird, in eine fiktionale Parallelwelt. Das wiederum reflektiert der Roman gleich mit, wenn seiner Verfasserin darin vorgeworfen wird: „Du scheinst nur aufschreiben zu wollen, um die Geschichte schnell vergessen zu können.“

„Ich werde niemanden erfinden, denn ich berge die Welt.“ So hat Anne Weber, die 1964 in Offenbach am Main zur Welt gekommen ist und seit ihrem Literaturstudium als Übersetzerin und Autorin in Paris lebt, ihr poetologisches Verfahren einmal selbst beschrieben. Auch dieser Roman, der mit der Gattungsbezeichnung eher spielt, als dass er sie erfüllt, führt den Leser in ein Spiegelkabinett: Eine Romancière berichtet beim Romanschreiben von den Skrupeln, Ängsten und Empfindungen beim Romanschreiben. Als Anne Weber sich dann mit ihrem Alter ego namens Léa aus dem verworfenen Manuskript noch zu unterhalten beginnt, zu streiten und zu frotzeln – „Welcher Autor kann schon seiner eigenen Hauptfigur etwas abschlagen?“ –, zeigt sich ihre anarchische, aber auch kokette Lust an der Dekonstruktion.

Fleisch-und-Blut-Wesen
Doch so versponnen klug der knapp zweihundertseitige Roman beginnt – „auch für Romanfiguren gibt es Grenzen, die übrigens viel enger gezogen sind als bei uns Fleisch-und-Blut-Wesen“ –, geht ihm auf halber Strecke doch die Puste aus. Nicht nur die streitlustige Léa, die mit ihrer Schöpferin das eine oder andere pikante Detail verhandelt – „was hatte ich nicht alles über diese Léa erfinden müssen“, seufzt diese –, geht im Laufe der Handlung einfach verloren. Die Geschichte büßt auch ihre charmante Leichtigkeit ein – in ebendem Maß, in dem die Rache an dem perfiden Geliebten, der im ersten Manuskript den klebrigen Namen Enguerrand verpasst bekommt, immer wichtiger wird. Durch seinen Verrat zerfällt die ganze Identität der Ich-Erzählerin, die mit dem Boden unter den Füßen zusehends auch den Humor verliert. So wird der Roman mehr oder weniger unfreiwillig zum Rachewerk und das Schreiben zur Abwehrstrategie gegen die Implosion aller Gewissheiten. Was folgt, ist ein Kampf gegen das Abgleiten in die verzweifelte Erkenntnis, nie genug geliebt worden zu sein.

Ein großer Teil des Romans beschäftigt sich mit der durchweg ironischen Analyse der Aggregatszustände von Liebe, Hass und Bitterkeit, die die Heldin durchlebt. „Blind vor Liebe“: Dieses Klischee hat hier tatsächlich seine Entsprechung in der Wirklichkeit gefunden. Und nur damit, dass sie der unzeitgemäßen Romantik dieser Liebesgeschichte so vollkommen erlegen war, erklärt die Autorin sich und uns, wie sie ein ganzes Jahr lang dem Scharlatan auf dem Leim gehen konnte.

Distanz der dritten Person
„Luft und Liebe“ geht ein vermeintlich leichtes Thema mit spürbarer Unerbittlichkeit an. Eine Schicht nach der anderen wird abgetragen, eine schmerzende Wahrheit nach der anderen freigelegt. Und so erzählt das Buch zuletzt auch vom prekären Akt des Schreibens an sich. Als nach den Gesetzen der Chronologie die Katastrophe nicht mehr verheimlicht werden kann, sondern endlich erzählt werden muss, bringt es die Autorin nicht mehr fertig, sich die „Zwangsjacke der ersten Person“ überzuziehen. Doch auch die Distanz der dritten Person bietet keinen Schutz vor dieser Wirklichkeit „unter aller Kanone“. „Das nächste Mal erfinde ich eine Geschichte“, schreibt Anne Weber trotzig.

Der Roman, der soeben von der Jury des Leipziger Buchpreises auf die Shortlist gesetzt wurde, gewinnt immer dann, wenn seine Verfasserin, ausgestattet mit der Fähigkeit zur Selbstironie, um Identität und Selbstachtung ringt. Zwischendurch aber hat man den Eindruck, dass hier, ohne Rücksicht auf Verluste, eine Buchstabenarmee in einen Krieg geschickt worden ist, der anderswo längst verloren wurde.

Anne Weber: Luft und Liebe". Roman. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2010. 190 S. geb., kr. 158,- inkl. moms

Ingen kommentarer:

Send en kommentar