Guiseppe Tomasi di Lampedusa: „Auf Reisen“
Alles Liebe, Euer Monstrum
Von Tilman Spreckelsen
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12. März 2009 Ganz geheuer ist dem Mann die Sache nicht. Er bereist die großen europäischen Metropolen, besucht London, Paris, Berlin, seine Börse ist einigermaßen gefüllt, man empfängt ihn freundlich. Und doch muss er sich seiner selbst in Briefen an die Daheimgebliebenen vergewissern, um all der Eindrücke Herr zu werden, die er äußerlich so kühl in sich aufnimmt, ein Fremder auch unter den Aristokraten, deren Stand er doch mit einigem Recht angehört. Aber was zählt die Herkunft aus einer der ältesten sizilianischen Familien im vornehmsten Club Londons? Und wie steht es eigentlich zu Hause, wo gerade jener Mussolini an die Macht gekommen ist, mit dem seine halbe Familie sympathisiert, während ihn die andere Hälfte schroff ablehnt?
Von Giuseppe Tomasi, dem Herzog von Palma und Fürsten von Lampedusa, sind eine Handvoll Erzählungen und ein überwältigender Roman auf uns gekommen: Letzteren, den „Gattopardo“, schrieb er in wenigen Monaten kurz vor seinem Tod im Sommer 1957, die Drucklegung des Werks, das seinen weltweiten Ruhm begründen sollte, erlebte er nicht mehr. Dass vor diesem Hintergrund jede bislang unbekannte Zeile von seiner Hand begeistert aufgenommen wird, ist kein Wunder, und so erregte auch die Nachricht, dass im Nachlass seiner Cousins, der Brüder Lucio (1901 bis 1969) und Casimiro (1894 bis 1970) Piccolo di Calanovella, knapp dreißig Reisebriefe des Autors aufgetaucht seien, vor drei Jahren einiges Aufsehen.
Reisebriefe in einschlägigen, von Stendhal bis Dickens entlehnten Posen
Nun liegen sie auf Deutsch vor, in einer hübschen Ausgabe des Piper Verlages, sie stammen wesentlich aus den Jahren zwischen 1925 und 1930 und erfüllen tatsächlich alles, was man von den Briefen eines begabten Dreißigers erwarten darf, der einen vertraulichen Dialog mit engen Freunden anspielungsreich über eine große räumliche Distanz führt.
„Das Monstrum hat geschrieben“; „Das Monstrum nimmt einen monumentalen Brief in Angriff“ – so beginnen die auf Hotelbögen notierten Berichte an Lucio und Casimiro im heimatlichen Sizilien; der korpulente Dichter zeichnet sich selbst lustvoll als eine Art Falstaff (wie überhaupt in den Reisebriefen einschlägige, von Stendhal bis Dickens entlehnte Posen eingenommen werden), er stichelt, ironisiert das Erlebte und wird doch wieder ganz ernst, wenn er etwa seitenlang vom Versuch erzählt, Porzellan aus dem Familienbesitz in London an den Mann zu bringen. Besucht er den vornehmsten Club der Stadt, dann lässt er es sich nicht nehmen, neben dem köstlichen Essen, der riesigen Bibliothek und den dezenten Begegnungen mit hochrangigen Politikern auch die Toilette zu preisen: „Pissoir aus schwarzem Marmor, ganz mit Porzellan ausgefliest: zwanzig Plätze. Waschbecken mit warmem Wasser, das einem die Haut verbrüht, und Bürstchen, wie es sie sonst nirgends gibt. Im Hintergrund Umkleideraum für vollständigere Verschönerung.“
Sie zeigen den resignierten Autor in einem Licht , das ihm nicht übel steht.
„Auf Reisen“
von Tomasi di Lampedusa, Guiseppe
Kaufen beiamazon.deLibri.deEs ist nicht nur das Bemühen, ein komplettes Bild der Örtlichkeit zu zeichnen, das den Briefeschreiber so detailliert werden lässt, sondern die unter den Cousins offenbar verbreitete Freude an der Zote (im November 1927 wird er, unter der Maske eines Fabrikanten von künstlichen Hoden, an die Cousins eine Art Prospekt schicken, die erfundenen Briefe dankbarer Kunden inklusive). „Doch, wie es bereits erwähnt hat, das Monstrum birgt neben dem Engel auch ein Schwein in sich; worauf es stolz ist“, schreibt er im Juli 1927 aus York, und im Licht der überlieferten Briefe scheint das keineswegs übertrieben.
Um aber die Briefe recht zu verstehen, muss man sich die Adressaten vergegenwärtigen. Als Künstler gelten beide – Lucio ist Dichter, Casimiro Maler, ihre Mutter ist Giuseppes Tante, die Schwester seiner Mutter. Die spiritistischen Neigungen der Familie sind berühmt, und während sich auf Casimiros Bildern putzige Gnomen und Elfen finden, versenkt sich Lucio gern in Zeitschriften, die von okkulten Phänomenen berichten.
„Wir sind fahle Schatten der echten Herren. Wir sind arm, und arm werden wir sterben.“ Das steht in einem Brief Tomasis aus London vom 5. August 1927, fast genau dreißig Jahre vor seinem Tod in einem schäbigen römischen Hotelzimmer. Seine Briefe aber hüteten die Cousins, und es dauerte weitere fünfzig Jahre, bis sie ans Licht kamen. Eine Sensation sind sie nicht. Aber sie sind geeignet, den resignierten Autor des „Gattopardo“ in einem Licht erscheinen zu lassen, das ihm nicht übel steht.
Guiseppe Tomasi di Lampedusa: „Auf Reisen“. Aus dem Italienischen von Giovanna Waeckerlin-Induni. Piper Verlag, München 2009. 240 S., geb., kr. 175,- inkl. moms.
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