fredag den 26. marts 2010


Mir war einfach nie langweilig


"Ich bin eher eine Tagträumerin": Patti Smith am Freitag bei einer Lesung aus ihrem Buch in Köln
Das Treffen beginnt damit, dass sie sich entschuldigt, so hungrig gewesen zu sein, dass sie es nur mit Verspätung hierher zum Hotel geschafft hat. Patti Smith ist gerade in Köln angekommen, am bislang freundlichsten Tag dieses Jahres, und war schnell noch in einem Restaurant nahe der Domplatte eingekehrt.

Jetzt aber, sagt sie und zieht sich das Stoffteil vom Kopf, das man vielleicht am besten mit „Schlapphut“ beschreiben könnte. Die 63-Jährige ist drahtig, klein, schmal, die grauen Haare fallen ihr über die Schultern, eine Strähne links von ihrem Gesicht ist zum Zopf geflochten, was nach Zeitvertreib im Taxi aussieht. Patti Smith trägt von Kopf bis Fuß Dunkel, ihr Gesicht ist blass und strahlt dabei nichts als Frische und gute Laune aus.



Patti Smith in der Düsseldorfer Ausstellung zwischen einem Porträt und einem Selbstporträt Mapplethorpes
Warum, erklärt sie ungefragt: Gerade habe sie zum ersten Mal die deutsche Ausgabe ihres Buches in der Hand gehalten und sei begeistert, wie wunderbar es aussehe. „Just Kids“ heißt es, auch auf Deutsch. Es sind Erinnerungen an ihre Freundschaft mit dem Künstler und Fotografen Robert Mapplethorpe und ihre Liebe füreinander. Sie war sein erstes Model, schenkte ihm seine erste Kamera, bestärkte ihn darin, Fotograf zu werden, so wie er sie bestärkte, als Künstlerin und Sängerin ihren Weg zu gehen. 1989 starb er an Aids.

Wie hätte Robert Mapplethorpe wohl ein Buch genannt, das Ihre gemeinsame Geschichte erzählt?
Nun, Robert hätte nie ein Buch geschrieben. Er war kein großer Leser, kein Schreiber. Aber er hätte diesen Titel gemocht. Vielleicht hätte er das Buch auch „Blue Star“ genannt. Ein blauer Stern war unser Symbol.

„Just Kids“ klingt beinahe entschuldigend.
Zum Thema

Rezension: Patti Smiths „Just Kids“
Robert Mapplethorpe in Düsseldorf: Der Wille zur nackten Form
Ich wollte, dass die Leute gleich wissen, was sie erwartet. Das Buch erzählt von junger Liebe, Hoffnungen, Existenzkämpfen und solchen um Freiheit. Und mir gefiel, dass „Just“ zweierlei bedeuten kann. Man kann es verkleinernd lesen: Ach, sie sind doch nur Kinder. Zugleich bedeutet es auch: gerecht, rechtschaffen. Wir waren nur Kinder, aber wir hatten Sinn für Moral, was die Kunst betrifft.

Der Ton des Buchs ist fast lyrisch, Sie erzählen sanft. Ihre andere Seite, der Zorn und die Aggression Ihrer Bühnenauftritte, die Sie zur Königin des Punkrock machten, kommt nicht vor. Warum?
„Just Kids“ sollte vor allem von der Zeit zwischen 1967 und 1975 erzählen. Diese Energie, die Sie ansprechen, fand nur auf der Bühne statt – und bis 1974 stand ich dort nicht oft. Ich bin keine zornige, sich körperlich ausdrückende Person, ich bin eher eine Tagträumerin.

Wenn Sie gar keinen Zorn empfanden, wo holten Sie den dann auf der Bühne her?

Besucher spiegeln sich in einem 1988 entstandenen Selbstportrait Mapplethorpes
Aus dem Publikum. Es gibt Abende, an denen sind meine Auftritte von Aggression geprägt, weil es das ist, was ich von den Menschen erfahre. Andere Auftritte sind eher ruhig. Aber ich wollte mich in dem Buch nicht mit meiner Bühnen-Persona befassen. Es sollte um Robert und mich gehen. Ich hatte ihm vor seinem Tod versprochen, unsere Geschichte aufzuschreiben.

Das Buch lässt die New Yorker Kunstszene der sechziger und siebziger Jahre lebendig werden, mitsamt deren grenzenlosem Drogenkonsum. Sie wirken in diesem Umfeld unglaublich nüchtern, im buchstäblichen Sinne.
Bevor ich 16 Jahre alt wurde, hatte ich schon Tuberkulose, Hepatitis, Pfeiffersches Drüsenfieber, Scharlach, zwei Arten von Masern und Mumps gehabt. Ich musste einfach vorsichtig sein. Selbst heute muss ich vernünftig sein mit dem, was ich esse oder trinke. Wenn ich einen Shot Tequila trinken möchte, trinke ich eben genau den. Ich konnte auch nicht richtig rauchen. Ich habe nur gepafft, weil das cool aussah, meine Lungen verkrafteten das Inhalieren nicht. Außerdem habe ich im „Chelsea Hotel“ . . .

. . . in dem Robert und Sie wie viele andere Künstler damals für einige Zeit wohnten . . .

. . . so viele Menschen getroffen, die auf Grund von zu viel Drogen keine Unterhaltung mehr führen oder sich auf irgendetwas konzentrieren konnten.

So wollten Sie nicht sein.
Ich wollte auch nicht abhängig sein. Als ich noch jung war, war meine Mutter süchtig nach Zigaretten. Wenn wir kein Geld mehr hatten, fingen ihre Hände an zu zittern. Und wir hatten damals kaum Geld. Oft nehmen Menschen Drogen, weil ihnen langweilig ist. Mir war einfach nie langweilig. Die paar Male, die ich in jungen Jahren mit Drogen herumexperimentierte, habe ich immer versucht, etwas aus der Erfahrung zu ziehen.

Zum Beispiel?
Eine Geschichte zu schreiben oder ein Gedicht. Drogen einfach nur zum Spaß zu nehmen hat mich nie angesprochen. Deshalb kann ich mich an meine Drogenerfahrungen auch noch so gut erinnern. Ich habe vielleicht drei oder vier Mal LSD genommen, außerdem in den Siebzigern ein paar Jahre lang Gras geraucht und mochte das sehr. Aber ich habe es aufgegeben. Ich bin kein suchtgefährdeter Mensch.

Mit Ausnahme von Kaffee, wie man Ihrem Buch entnimmt.
Ja. Kaffee ist mein einziges Laster. Aber auch da bin ich maßvoller geworden. Heute trinke ich, wenn es hochkommt, vier Tassen.

Früher waren es an die zwanzig. Konnten Sie da nachts überhaupt einschlafen?
Kaffee hat auf mich noch nicht mal eine sonderlich anregende Wirkung. Aber das Leben hat mich gelehrt, dass alles, was man im Überfluss zu sich nimmt, einen krank machen kann. Sie können zu viele Karotten essen, und es wäre nicht gut für Sie. Aber zurück zur damaligen New Yorker Szene: Auch wenn ich fast immer nüchtern war, war ich wohl nie der ganz normale Typ. Robert nahm LSD und behauptete, ich, die ich nichts nahm, wirke zugedröhnter als er.

Bevor Sie nach New York gingen, waren Sie schwanger und gaben das Baby zur Adoption frei. Sie erwähnen das nur am Anfang. Haben Sie je versucht herauszufinden, was aus ihm geworden ist?
Nein. Ich bin die biologische Mutter, aber das Kind hat Eltern, die es aufgezogen haben. Ich habe immer für sein Wohl gebetet. Als ich es weggab, war ich selbst fast noch ein Kind. Ich hatte kein Geld, keine abgeschlossene Ausbildung – und ich hatte Ziele. Ich tat, was ich tun musste, so empfand ich es. Es gibt keine einfache Antwort für eine solche Entscheidung, ob es Adoption ist oder eine Abtreibung. Egal wie, man opfert etwas.

In New York haben Sie dann, so scheint es, in einer Zeit, in der Frauen für ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen mussten, ganz leicht und gleichberechtigt Zugang zur Kunstszene gefunden. War es so einfach, wie es sich liest?
Ich habe nie darüber nachgedacht, dass ich als Frau Kunst machen wollte. Ich habe einfach geschrieben, gesungen, so wie jeder Mann.

Es war also einfach?
Nein. Es ist nur so, dass mein Ziel immer war, Großartiges zu schaffen, selbst wenn das anmaßend und überheblich war. Ich habe mich dem Rock ’n’ Roll als Künstler angenähert, um ihn mit Poesie zu vermischen, etwas Besonderes zu schaffen. Und wenn Leute nicht mochten, was ich machte, habe ich es mir immer damit erklärt, dass sie es wohl einfach nicht verstanden. Ich habe es nie in Verbindung damit gesetzt, dass ich eine Frau bin. Aber mir sind die Schwierigkeiten natürlich bewusst. Ein Beispiel?

Bitte.
„Because the Night“ war 1978 ein großer Erfolg in den Vereinigten Staaten. Debby Boone war mit „You Light Up My Life“ auf Platz eins der Top-Ten-Charts . . .

Ihr Song lag knapp hinter den ersten zehn.
Platz 12 oder 13. Mir wurde immer wieder gesagt: „Du kommst nicht in die Top Ten, bis Debby absteigt, weil nur eine Frau in die Top Ten kommt.“ Eine unglaublich dumme Haltung. Für manche Menschen wäre das vielleicht ihre Schlacht gewesen. Aber meine war es, bessere Songs zu schreiben. Als Künstler kann ich mich am besten in die Diskussion einbringen, wenn ich einfach meine Arbeit mache und versuche, auf diesem Weg Vorbild zu sein – für alle, ob Männer oder Frauen. Wobei ich von Kindheit an umgeben war von engagierten Frauen, die hart dafür gearbeitet haben, dass sich die Gesellschaft öffnete und Frauen ihren gerechten Platz darin fanden, einen gleichberechtigten. Da fällt mir ein . . .

Ja?
Wo wir uns über Rollenzuweisung unterhalten – den besten Film, den ein junges Mädchen sehen kann oder ein altes, so wie ich es bin, ist Tim Burtons „Alice im Wunderland“. Wie Alice darin zu sich selbst findet – jenseits von Geschlechtszugehörigkeit und Rollenverständnis . . . Sie kommt nicht durch eine politische Bewegung dorthin, sondern durch sich selbst. Durch Magie. Durch ihre eigene Phantasie. Sie stellt sich ihren Ängsten. Menschen, die die Energie aufbringen, sich für die Rechte von Frauen einzusetzen, tun natürlich etwas absolut Wichtiges, Unerlässliches. Aber ein Künstler muss sich darüber hinausbewegen. Große Kunst ist nicht geschlechtsspezifisch. Das wusste ich immer, schon als junges Mädchen.

Gab es Frauen, die Ihren Weg geprägt haben?
Mut habe ich von meiner Mutter geerbt, wobei sie viel mehr davon hatte als ich.

Und in der Kunst?
Als bildende Künstlerin Frida Kahlo. Sonst wollte es das Schicksal wohl so, dass es vor allem Männer waren: Picasso, Rauschenberg, de Kooning, Jackson Pollock. Aber ich bewundere viele Frauen. Joni Mitchell. Edith Piaf. Auch Waltraud Meier, die großartige Wagner-Interpretin. Meine liebsten Bücher dagegen wurden von Männern geschrieben, „Peter Pan“, „Alice im Wunderland“ oder „2666“ – doch mit dem Schreiben beginnen wollte ich wegen Louisa May Alcotts „Little Women“. Geprägt hat mich zweifelsohne: Robert. Er hat mir als Freund und Künstler geholfen, mein Selbstbewusstsein zu entwickeln.

Wenn Sie heute an ihn denken, was vermissen Sie am meisten?
Jemanden, der einen wirklich kennt, und das seit sehr langer Zeit. Aber ich spüre Robert. Auch heute noch.

Interview: Anne Ameri-Siemens

Patti Smith: „Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft“. Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 304 Seiten, kr. 175,- inkl. moms



Text: F.A.Z.
Bildmaterial: AP, ddp, picture alliance / dpa

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