Verdens litteratur, men særligt litteratur på tysk er en samling anmeldelser af forskellige tysksprogede bøger, som jeg finder spændende og gerne vil dele med andre. Anmeldelserne er hentet fra store tyske avisers litteraturtillæg.
tirsdag den 30. marts 2010
Meine Jahre mit Helmut Krausser
Helmut Krausser arbeitet weiter an seinem Selbstbild als verkanntes Genie: »Das Beste aus den Tagebüchern« geht einem ungeheuer auf die Nerven – wenn da nicht Bea wäre
© Hagen Schnauss/DuMont Verlag
Der deutsche Schriftsteller Helmut Krausser
Wenn der Ich-Erzähler in Helmut Kraussers Tagebüchern aus den Jahren 1992 bis 2004 ein Motto-T-Shirt tragen würde, dann stünde darauf: »Eure geistige Armut kotzt mich an«. Egal ob Botho Strauß oder Slavoj Žižek, ob Adorno oder Goethe, ob Thomas Bernhard oder Michel Houellebecq – er findet alle »scheiße«. Leider erachtet er die Leser seiner Tagebücher aber nicht wert, dass er ihnen auch nur an einer einzigen Stelle erklären würde, warum. So bleiben die Tagebücher immer da, wo sich interessante Klüfte auftun könnten, inhaltliche Abgrenzungen oder sprachliche Verdammungen im puren, kläffenden Ressentiment stecken. Ein einziges Mal, als er auf drei Seiten einen Satz von Kafka auseinandernimmt und redigiert und verbessert, scheint auf, wieso im begründeten Denkmalsturz eine eigene Größe gewonnen werden kann. Ansonsten: »Alle fünf Goethe-Gedichte scheiße« beziehungsweise »Sachen von Prada sehen so scheiße aus«. Die größten Flüche stößt Krausser allerdings alle paar Seiten auf die Literaturkritik aus – vor allem, weil sie sein Genie nicht erkennt, aber auch grundsätzlich: »Deshalb bin ich ja auch der Künstler und du nur ein popliger Redakteur«, schreibt er allen gewesenen und künftigen Kritikern seiner Werke ins Stammbuch. Helmut Krausser, so spürt man auf jeder zweiten Seite, will also von der Literaturkritik gehasst werden, um sein Selbstbild als verkanntes Genie nicht infrage stellen zu müssen. Wir haben uns deshalb bemüht, ihn ins Herz zu schließen. Sein Tagebuch mögen zu wollen. Damit er endlich mit dieser nervtötenden Noli-me-tangere-sonst-hau-ich-dir-in-die-Fresse-Pose aufhört. Und einfach weiter diese verrätselten, seltsamen, guten, schwierigen, schlechten, in jedem Fall: besonderen Bücher schreibt.
Aber es geht nicht.
Tagebücher Wirr oder wahrhaftig
Schlagworte
Alltag | Literatur | Belletristik | Schriftsteller Kraussers Das Beste aus den Tagebüchern ist ein Buch, das einem dazu viel zu sehr auf die Nerven geht. Und zwar gar nicht wegen all der schlechtgelaunten Vernichtungsfantasien. Sondern wegen all dem, was fehlt. Es gelingt Krausser auf erschreckende Weise, wochenlang durch Italien oder Frankreich zu reisen, ohne eine einzige strahlkräftige atmosphärische Schilderung zu notieren. Diese Sonne dreht sich so sehr um die eigene Erde, dass alles andere im Schatten bleibt. Zehn Jahre lang hat er jeweils einen Monat Tagebuch geführt – er hält das für formal revolutionär. Sein größter Wunsch ist deshalb: »Ich würde gern mal lesen, dass ich ein sehr ironiefähiger Autor bin.« Aber auch wir können ihm diesen Gefallen nicht tun. Zumindest auf den Tagebuchschreiber Krausser scheint diese Charaktereigenschaft nicht zuzutreffen – er ist stattdessen von großer Spießigkeit. Er regt sich auf über die »verfluchten Wixer, die vorne an der Kinokasse anfangen ihr Kleingeld zusammenzukratzen«, schreiende Kinder und Rucksackträger – außerdem prozessiert er empört gegen die Computerfirma, weil irgendetwas mit seinem Laptop nicht stimmt. Und das schlimmste Erlebnis auf dem Wochenmarkt in Avignon: »Auch fand sich kein Meerrettich für den Rote-Beete-Salat.« Doch dessen Schärfe fehlt leider tatsächlich den literarischen Bildern, die Krausser in seinen Tagebüchern zeichnet. Wenn er zu entscheiden habe, »welches Tandem verschwinden müsste, Joyce und Proust oder Reiser und Goscinny – die Entscheidung fiele so leicht wie eine halbe Entendaune.« Bitte wie? Warum wie eine halbe Daune? Warum vor allem ein so schwerfälliges gemästetes Wort wie »Ente«, wenn man etwas Leichtes symbolisieren will? Und vor allem: Nichts fällt langsamer zu Boden als eine Daune, dabei wollte Krausser doch offenbar gerade betonen, wie schnell er diese Entscheidung fallen könne. Da fehlt dann nicht nur der Meerrettich, sondern auch das Salz und das Öl.
Und doch: Es gibt diese Stellen in den Tagebüchern, die all das haben. Es sind jene Passagen, in denen die offenbar außergewöhnlich wunderbare Frau von Krausser mit Namen Beatrice beziehungsweise Bea auftritt. Kaum fällt ihr Name, da erhebt sich das Tagebuch sogleich zu seinen wahren Höhepunkten. Etwa hier: »Ich: Strahle ich Haltung aus? Bea: Sicher, aber welche halt.« Da fällt uns dann doch vor Erleichterung eine halbe, sehr ironiefähige Ente vom Herzen.
Helmut Krausser: Substanz
Das Beste aus den Tagebüchern 1992 - 2004; DuMont, Köln 2010; 462 S., kr. 219,- inkl. moms
fredag den 26. marts 2010
Mir war einfach nie langweilig
"Ich bin eher eine Tagträumerin": Patti Smith am Freitag bei einer Lesung aus ihrem Buch in Köln
Das Treffen beginnt damit, dass sie sich entschuldigt, so hungrig gewesen zu sein, dass sie es nur mit Verspätung hierher zum Hotel geschafft hat. Patti Smith ist gerade in Köln angekommen, am bislang freundlichsten Tag dieses Jahres, und war schnell noch in einem Restaurant nahe der Domplatte eingekehrt.
Jetzt aber, sagt sie und zieht sich das Stoffteil vom Kopf, das man vielleicht am besten mit „Schlapphut“ beschreiben könnte. Die 63-Jährige ist drahtig, klein, schmal, die grauen Haare fallen ihr über die Schultern, eine Strähne links von ihrem Gesicht ist zum Zopf geflochten, was nach Zeitvertreib im Taxi aussieht. Patti Smith trägt von Kopf bis Fuß Dunkel, ihr Gesicht ist blass und strahlt dabei nichts als Frische und gute Laune aus.
Patti Smith in der Düsseldorfer Ausstellung zwischen einem Porträt und einem Selbstporträt Mapplethorpes
Warum, erklärt sie ungefragt: Gerade habe sie zum ersten Mal die deutsche Ausgabe ihres Buches in der Hand gehalten und sei begeistert, wie wunderbar es aussehe. „Just Kids“ heißt es, auch auf Deutsch. Es sind Erinnerungen an ihre Freundschaft mit dem Künstler und Fotografen Robert Mapplethorpe und ihre Liebe füreinander. Sie war sein erstes Model, schenkte ihm seine erste Kamera, bestärkte ihn darin, Fotograf zu werden, so wie er sie bestärkte, als Künstlerin und Sängerin ihren Weg zu gehen. 1989 starb er an Aids.
Wie hätte Robert Mapplethorpe wohl ein Buch genannt, das Ihre gemeinsame Geschichte erzählt?
Nun, Robert hätte nie ein Buch geschrieben. Er war kein großer Leser, kein Schreiber. Aber er hätte diesen Titel gemocht. Vielleicht hätte er das Buch auch „Blue Star“ genannt. Ein blauer Stern war unser Symbol.
„Just Kids“ klingt beinahe entschuldigend.
Zum Thema
Rezension: Patti Smiths „Just Kids“
Robert Mapplethorpe in Düsseldorf: Der Wille zur nackten Form
Ich wollte, dass die Leute gleich wissen, was sie erwartet. Das Buch erzählt von junger Liebe, Hoffnungen, Existenzkämpfen und solchen um Freiheit. Und mir gefiel, dass „Just“ zweierlei bedeuten kann. Man kann es verkleinernd lesen: Ach, sie sind doch nur Kinder. Zugleich bedeutet es auch: gerecht, rechtschaffen. Wir waren nur Kinder, aber wir hatten Sinn für Moral, was die Kunst betrifft.
Der Ton des Buchs ist fast lyrisch, Sie erzählen sanft. Ihre andere Seite, der Zorn und die Aggression Ihrer Bühnenauftritte, die Sie zur Königin des Punkrock machten, kommt nicht vor. Warum?
„Just Kids“ sollte vor allem von der Zeit zwischen 1967 und 1975 erzählen. Diese Energie, die Sie ansprechen, fand nur auf der Bühne statt – und bis 1974 stand ich dort nicht oft. Ich bin keine zornige, sich körperlich ausdrückende Person, ich bin eher eine Tagträumerin.
Wenn Sie gar keinen Zorn empfanden, wo holten Sie den dann auf der Bühne her?
Besucher spiegeln sich in einem 1988 entstandenen Selbstportrait Mapplethorpes
Aus dem Publikum. Es gibt Abende, an denen sind meine Auftritte von Aggression geprägt, weil es das ist, was ich von den Menschen erfahre. Andere Auftritte sind eher ruhig. Aber ich wollte mich in dem Buch nicht mit meiner Bühnen-Persona befassen. Es sollte um Robert und mich gehen. Ich hatte ihm vor seinem Tod versprochen, unsere Geschichte aufzuschreiben.
Das Buch lässt die New Yorker Kunstszene der sechziger und siebziger Jahre lebendig werden, mitsamt deren grenzenlosem Drogenkonsum. Sie wirken in diesem Umfeld unglaublich nüchtern, im buchstäblichen Sinne.
Bevor ich 16 Jahre alt wurde, hatte ich schon Tuberkulose, Hepatitis, Pfeiffersches Drüsenfieber, Scharlach, zwei Arten von Masern und Mumps gehabt. Ich musste einfach vorsichtig sein. Selbst heute muss ich vernünftig sein mit dem, was ich esse oder trinke. Wenn ich einen Shot Tequila trinken möchte, trinke ich eben genau den. Ich konnte auch nicht richtig rauchen. Ich habe nur gepafft, weil das cool aussah, meine Lungen verkrafteten das Inhalieren nicht. Außerdem habe ich im „Chelsea Hotel“ . . .
. . . in dem Robert und Sie wie viele andere Künstler damals für einige Zeit wohnten . . .
. . . so viele Menschen getroffen, die auf Grund von zu viel Drogen keine Unterhaltung mehr führen oder sich auf irgendetwas konzentrieren konnten.
So wollten Sie nicht sein.
Ich wollte auch nicht abhängig sein. Als ich noch jung war, war meine Mutter süchtig nach Zigaretten. Wenn wir kein Geld mehr hatten, fingen ihre Hände an zu zittern. Und wir hatten damals kaum Geld. Oft nehmen Menschen Drogen, weil ihnen langweilig ist. Mir war einfach nie langweilig. Die paar Male, die ich in jungen Jahren mit Drogen herumexperimentierte, habe ich immer versucht, etwas aus der Erfahrung zu ziehen.
Zum Beispiel?
Eine Geschichte zu schreiben oder ein Gedicht. Drogen einfach nur zum Spaß zu nehmen hat mich nie angesprochen. Deshalb kann ich mich an meine Drogenerfahrungen auch noch so gut erinnern. Ich habe vielleicht drei oder vier Mal LSD genommen, außerdem in den Siebzigern ein paar Jahre lang Gras geraucht und mochte das sehr. Aber ich habe es aufgegeben. Ich bin kein suchtgefährdeter Mensch.
Mit Ausnahme von Kaffee, wie man Ihrem Buch entnimmt.
Ja. Kaffee ist mein einziges Laster. Aber auch da bin ich maßvoller geworden. Heute trinke ich, wenn es hochkommt, vier Tassen.
Früher waren es an die zwanzig. Konnten Sie da nachts überhaupt einschlafen?
Kaffee hat auf mich noch nicht mal eine sonderlich anregende Wirkung. Aber das Leben hat mich gelehrt, dass alles, was man im Überfluss zu sich nimmt, einen krank machen kann. Sie können zu viele Karotten essen, und es wäre nicht gut für Sie. Aber zurück zur damaligen New Yorker Szene: Auch wenn ich fast immer nüchtern war, war ich wohl nie der ganz normale Typ. Robert nahm LSD und behauptete, ich, die ich nichts nahm, wirke zugedröhnter als er.
Bevor Sie nach New York gingen, waren Sie schwanger und gaben das Baby zur Adoption frei. Sie erwähnen das nur am Anfang. Haben Sie je versucht herauszufinden, was aus ihm geworden ist?
Nein. Ich bin die biologische Mutter, aber das Kind hat Eltern, die es aufgezogen haben. Ich habe immer für sein Wohl gebetet. Als ich es weggab, war ich selbst fast noch ein Kind. Ich hatte kein Geld, keine abgeschlossene Ausbildung – und ich hatte Ziele. Ich tat, was ich tun musste, so empfand ich es. Es gibt keine einfache Antwort für eine solche Entscheidung, ob es Adoption ist oder eine Abtreibung. Egal wie, man opfert etwas.
In New York haben Sie dann, so scheint es, in einer Zeit, in der Frauen für ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen mussten, ganz leicht und gleichberechtigt Zugang zur Kunstszene gefunden. War es so einfach, wie es sich liest?
Ich habe nie darüber nachgedacht, dass ich als Frau Kunst machen wollte. Ich habe einfach geschrieben, gesungen, so wie jeder Mann.
Es war also einfach?
Nein. Es ist nur so, dass mein Ziel immer war, Großartiges zu schaffen, selbst wenn das anmaßend und überheblich war. Ich habe mich dem Rock ’n’ Roll als Künstler angenähert, um ihn mit Poesie zu vermischen, etwas Besonderes zu schaffen. Und wenn Leute nicht mochten, was ich machte, habe ich es mir immer damit erklärt, dass sie es wohl einfach nicht verstanden. Ich habe es nie in Verbindung damit gesetzt, dass ich eine Frau bin. Aber mir sind die Schwierigkeiten natürlich bewusst. Ein Beispiel?
Bitte.
„Because the Night“ war 1978 ein großer Erfolg in den Vereinigten Staaten. Debby Boone war mit „You Light Up My Life“ auf Platz eins der Top-Ten-Charts . . .
Ihr Song lag knapp hinter den ersten zehn.
Platz 12 oder 13. Mir wurde immer wieder gesagt: „Du kommst nicht in die Top Ten, bis Debby absteigt, weil nur eine Frau in die Top Ten kommt.“ Eine unglaublich dumme Haltung. Für manche Menschen wäre das vielleicht ihre Schlacht gewesen. Aber meine war es, bessere Songs zu schreiben. Als Künstler kann ich mich am besten in die Diskussion einbringen, wenn ich einfach meine Arbeit mache und versuche, auf diesem Weg Vorbild zu sein – für alle, ob Männer oder Frauen. Wobei ich von Kindheit an umgeben war von engagierten Frauen, die hart dafür gearbeitet haben, dass sich die Gesellschaft öffnete und Frauen ihren gerechten Platz darin fanden, einen gleichberechtigten. Da fällt mir ein . . .
Ja?
Wo wir uns über Rollenzuweisung unterhalten – den besten Film, den ein junges Mädchen sehen kann oder ein altes, so wie ich es bin, ist Tim Burtons „Alice im Wunderland“. Wie Alice darin zu sich selbst findet – jenseits von Geschlechtszugehörigkeit und Rollenverständnis . . . Sie kommt nicht durch eine politische Bewegung dorthin, sondern durch sich selbst. Durch Magie. Durch ihre eigene Phantasie. Sie stellt sich ihren Ängsten. Menschen, die die Energie aufbringen, sich für die Rechte von Frauen einzusetzen, tun natürlich etwas absolut Wichtiges, Unerlässliches. Aber ein Künstler muss sich darüber hinausbewegen. Große Kunst ist nicht geschlechtsspezifisch. Das wusste ich immer, schon als junges Mädchen.
Gab es Frauen, die Ihren Weg geprägt haben?
Mut habe ich von meiner Mutter geerbt, wobei sie viel mehr davon hatte als ich.
Und in der Kunst?
Als bildende Künstlerin Frida Kahlo. Sonst wollte es das Schicksal wohl so, dass es vor allem Männer waren: Picasso, Rauschenberg, de Kooning, Jackson Pollock. Aber ich bewundere viele Frauen. Joni Mitchell. Edith Piaf. Auch Waltraud Meier, die großartige Wagner-Interpretin. Meine liebsten Bücher dagegen wurden von Männern geschrieben, „Peter Pan“, „Alice im Wunderland“ oder „2666“ – doch mit dem Schreiben beginnen wollte ich wegen Louisa May Alcotts „Little Women“. Geprägt hat mich zweifelsohne: Robert. Er hat mir als Freund und Künstler geholfen, mein Selbstbewusstsein zu entwickeln.
Wenn Sie heute an ihn denken, was vermissen Sie am meisten?
Jemanden, der einen wirklich kennt, und das seit sehr langer Zeit. Aber ich spüre Robert. Auch heute noch.
Interview: Anne Ameri-Siemens
Patti Smith: „Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft“. Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 304 Seiten, kr. 175,- inkl. moms
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: AP, ddp, picture alliance / dpa
Tagebuch Martin Walser
"Mit Habermas in Amerika, das wärs"
Ein Schicksal namens Marcel Reich-Ranicki: Martin Walser offenbart in seinen verstörenden Tagebüchern aus den Jahren 1974 bis 1978 das ganze Seelendrama eines Schriftstellers.
© Patrick Seeger/dpa
Martin Walser vor seinem Haus in Nußdorf am Bodenseeufer
Noch sind die Fäden sichtbar, die die deutsche Literatur der Gegenwart mit ihrer gerade mal eben vergangenen Geschichte verbinden. Und daher können wir auch noch jenes seltsame Schauspiel beobachten, das momentan auf diesen Fäden aufgeführt wird. Es tanzen dort Gestalten, zumeist jenseits des 80. Lebensjahres, die uns ihre Geschichte noch einmal virtuos präsentieren. Die Mission ist dabei klar: Sie wollen sich zum Herrscher über ihre Zukunft, ihr Nachleben aufschwingen – und zugleich das Hier und Jetzt wie eh und je lautstark dominieren. Denn leiser haben sie es nicht gelernt. Günter Grass organisiert seit Jahren gewohnt kraftvoll sein Nachleben in seinem eigenen Museum in Lübeck; Erinnerungen, Tagebücher, Briefe und Stasiakten erscheinen unablässig. Und während Hans Magnus Enzensberger seine Briefwechsel mit Peter Hacks und Uwe Johnson aus den Archiven herauslässt, polemisiert er als Weltbürger munter missvergnügt gegen die provinzielle Europäische Union.
Womöglich ist es ihr letzter großer Auftritt, den die begnadeten literarischen Selbstdarsteller dieser Generation aufführen, ein Gesamtkunstwerk der Gleichzeitigkeit: Geschichte werden noch zu Lebzeiten – und zugleich in der Gegenwart immer weiterleben. Es muss ein eigentümliches Gefühl sein, diesen Tanz zwischen den Zeiten zu vollführen. Im Mai 1955 hält Thomas Mann in Weimar seine große Rede zum Schiller-Gedenkjahr. Am gleichen Wochenende bekommt ein junger Rundfunkredakteur für eine Erzählung den Preis der Gruppe 47 bei deren Tagung in Berlin. Und im Januar 2010 steht er mit vielen anderen Menschen auf einem Hof im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, wo Suhrkamp, sein einstiger Verlag, feierlich ein neues Quartier neben Klamottenläden und Coffee-to-go-Shops bezieht: Martin Walser, der immer noch Buch um Buch schreibt, zuletzt die Novelle Mein Jenseits, dieser Schriftsteller Martin Walser wird Geschichte – und bleibt einer von uns.
Lesetipp von Iris Radisch
"Mein Jenseits" von Martin Walser
Walser, der in wenigen Tagen seinen 83. Geburtstag feiert, gehört ebenfalls zu jenen Vergangenheitsinszenierern, die uns noch einmal vorführen wollen, wie sie wurden, was sie sind. Dafür hat er seit einigen Jahren einen speziellen Weg gewählt: Er veröffentlicht zu Lebzeiten seine – dafür naturgemäß leicht bereinigten – Tagebücher. Walter Kempowski und Peter Rühmkorf, die großen Diaristen der Bundesrepublik, haben das für ausgewählte Zeiträume ebenso getan. Und nun Walser: 2005 erschien der erste Band, der die Jahre 1951 bis 1962 umfasst; 2007 kamen dann die Tagebücher von 1963 bis 1973 heraus. Unzählige Blindbände hat Walser im Laufe der Jahrzehnte vollgeschrieben, mit Randzeichnungen und Kritzeleien versehen. Mitnichten ist dabei eine herkömmliche Lebenschronik entstanden; vielmehr sind Walsers Tagebücher ein Assoziationsraum für alles, was ihn umtreibt: Erlebnisse, Gedanken, der Literaturbetrieb, die Familie und die schwer erträglichen Kollegen, die eigenen Werke, Textentwürfe, Aphorismen, Intimes und Öffentliches. Tagebuchschreiben ist für Walser eine Übung im Schauen, Fühlen und Dafür-eine-Sprache-Finden. Impulsives »Hinschreiben« statt pedantisches »Aufschreiben«: So charakterisiert er sein freies Verfahren, das ihn allerdings weniger von anderen Tagebuchschreibern unterscheidet, als er suggeriert.
Nun also präsentiert der Schriftsteller in der dritten Lieferung sein Leben zwischen 1974 und 1978. Beim Lesen dieses Bandes wird auch der größte Walser-Kenner aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Bewunderung und Fassungslosigkeit dürften sich zunächst die Waage halten angesichts der Selbstenthemmung, mit der da einer seine Haut zu Markte trägt. Einiges war man bislang vom Öffentlichkeitsarbeiter Walser gewohnt; Aufmerksamkeit zu erregen war nie das Problem des einstigen Reichsmeisters im Signalwinken bei der Marine-HJ. Doch dieses Tagebuch über seine siebziger Jahre hat eine stärkere Wirkung. Wir lernen Walser besser denn je kennen. Oder genauer gesagt: Wenn wir ihm, dem durchtriebenen Charmeur und versierten Verführer, folgen, glauben wir ihm am Ende, ihn nunmehr besser verstanden zu haben. Es ist zugleich weit mehr als »nur« ein Walser-Tagebuch oder ein anekdotensattes Kompendium zur Literaturgeschichte der siebziger Jahre. Hier werden die Leiden des Schriftstellerdaseins ausgestellt: Wann je hat man sie so präzise-minutiös studieren können wie in diesem Tagebuch?
Die siebziger Jahre sind Krisenjahre für Walser. Seit Längerem erfolglos mit seinen Büchern, gerät er, der Jungstar der Fünfziger und Sechziger, in schweres Gewässer. Politisch ist er weit nach links in DKP-Nähe gedriftet, sehr zum Verdruss seines Verlegers Siegfried Unseld, der ihm 1974 erklärt: »Da hat eben ein Teil der MW-Leser gesagt: Da machen wir nicht mehr mit. Und das sind ja jetzt immer mehr Leute, die da nicht mehr mitmachen.« Walser fühlt sich als Außenseiter im Suhrkamp-Kosmos. 1975 notiert er: »Aber ich sage mir, dass ich von diesem Verlag weggehen werde, sobald ich es mir erlauben kann. Ich will in dieser Umgebung nicht bleiben. Die sollen unter sich sein. In ihrer Feierlichkeit auf Gegenseitigkeit. Eine Papiergemeinde, die sich zum Mittelpunkt der Welt erklärt.« Das Verhältnis zu dem anderen schwer kriselnden Autor jener Jahre, Uwe Johnson, ist zerrüttet, auch wegen dessen »moralischem Narzissmus«: »Der Clinch zwischen Uwe und mir ist jetzt ein Clinch von Zusammenbrechenden.« Neid schärft ihm den Blick auf Kollegen – auf den in sich ruhenden Max Frisch (»Riesenerfolg macht ihn so elastisch. Ich bin das Gegenteil«), auf den »Chefkunstgewerbler« Enzensberger: »HME ist der eindringlichste, unwiderlegbarste, dauerhafteste Beweis, dass ein Intellektueller nie etwas ernst meint. Er meint nur immer wieder sich. Er hängt nicht sein Fähnchen nach dem Wind, sondern er ist das Fähnchen, und das hat bekanntlich keine Wahl zu wehen.« Er meint nur immer wieder sich: Auch eine Selbsterkenntnis? Befreundet unter seinesgleichen fühlt er sich nur noch mit einem: »Ich finde außer Jürgen Habermas keinen mehr ganz erträglich. Mit Habermas in Amerika, das wär’s.« Die Lage erscheint zunehmend ausweglos; auch das Haus kann kaum mehr finanziert werden. »Ich habe nichts anderes mehr zu tun, als das Versagen zu notieren. Aufmotzen notier ich auch. Aufmotzen und Versagen bzw. Versagen und Aufmotzen, das sind meine zwei Lebensinhalte.« Der Gedanke an den Tod taucht auf; der Anblick eines Messers kann ihn auslösen: »Stundenlang, eigentlich schon den ganzen Tag von Mordgedanken, völlig ungerichteten, umhergetrieben. Dieser Druck kann sich gegen jeden richten, auch gegen mich selbst.« All das könnte man noch unter Künstlerdepression oder Midlife-Crisis verbuchen. Doch was ihm dann widerfährt, steigert die Krise zum inneren Ausnahmezustand
»Siegfried rief an heute Morgen und teilte mit, dass von R-R eine ganz negative Kritik morgen in der FAZ publiziert werde«, notiert Walser am 26. März 1976. Anderntags im Zug nach Frankfurt liest er, wie Marcel Reich-Ranicki seinen Roman Jenseits der Liebe ausgiebig und heftig hinrichtet: Es lohne nicht, auch nur eine einzige Seite des Buches zu lesen; Walser sei erneut an einem Tiefpunkt seiner Laufbahn angekommen. In diesem Augenblick wird das Tagebuch zur Überlebenshilfe. Minutiös protokolliert Walser, wie es in ihm tobt, monatelang. Immer wieder rätselt er über die Motive des Frankfurter »Literaturwebels« und registriert seismografisch, wie seine Umgebung reagiert: Was denkt wohl seine Frau Käthe? Wer hat noch nicht angerufen, um sich zu solidarisieren? Noch im Zug hatte Walser eine Rede an Reich-Ranicki entworfen: »Ich sage Ihnen also, dass ich Ihnen, wenn Sie in meine Reichweite kommen, ins Gesicht schlagen werde. Mit der flachen Hand übrigens, weil ich Ihretwegen keine Faust mache.« Und weiter: »Sie werden, bitte, nicht auch noch die Geschmacklosigkeit haben, diese Ankündigung und ihre gelegentliche Ausführung als Antisemitismus zu bezeichnen.« Mittags im Verlag kann ihm Unseld alle Aktionen mühsam ausreden. Dass das Buch ein Erfolg wird, vermag Walser nicht zu trösten: »Ich fühle mich schutzlos.«
Unzählige solcher Seiten sind es, die diesen Band schon jetzt zu einem Klassiker des Schriftstellertagebuchs machen: Wohl selten ist das umkämpfte Innenleben eines Autors so sichtbar geworden. Was nach lächerlichem Wahn klingt, ist bitterer Ernst. Die Abgründe lauern überall: Habermas erklärt, warum Unseld Walser hasst und weshalb er glaube, dass Reich-Ranicki diesen mit Unselds Einverständnis verrissen haben könnte (was Günter Grass ebenfalls glaubt). Natürlich gibt es auch anderes: Seine Frau und seine vier Töchter sind ihm Kraftquell in der Krise. »Ohne Käthe könnte ich nicht leben«, notiert er im Dezember 1975. Es gibt wunderbare Szenen eines Kasinobesuchs oder von Siegfried Unseld, der die Freundin seines Sohnes Joachim übernommen hat, oder den gescheiterten Versuch, Grass zu einem gemeinsamen Pornokino-Besuch zu überreden; dazu Reiseimpressionen aus Japan oder Amerika. Doch selbst dort verfolgt ihn Reich-Ranicki – in einem Traum rennt der Kritiker hinter ihm her, bis der zunächst fliehende Walser merkt: »Ich bin der, der hinter mir herrennt.« Das Leiden des Schriftstellers kennt keine Grenzen, es schwillt an zu einem mäandernden Strom. Natürlich könnten wir den Kopf schütteln über die Maßlosigkeit seiner Klage; immerhin kein Novize, sondern ein Mann von 50 Jahren, der Erfolge und Anerkennung eingeheimst hat und sich dennoch stets ausgeliefert fühlt. Und doch steckt in dieser Walserschen Ich-Seligkeit, deretwegen er den Leser an diesem Tagebuch teilhaben lässt, jene unendliche Sehnsucht nach Liebe, die ihn antreibt. Er reißt sich das Hemd auf und zeigt uns seine Wunden, damit wir ihn verstehen. Damit wir sein kompliziertes, wechselhaftes Verhältnis zum bald 90-jährigen Reich-Ranicki begreifen, das 2002 zum Eklat um Walsers Roman Tod eines Kritikers führte. Als die FAZ Ende 1977 Walsers Novelle Ein fliehendes Pferd vorabdrucken will, seufzt seine Frau Käthe: »Jetzt sollte man wieder Charakter haben.« Das Buch wird eine Wiederauferstehung, ein Riesenerfolg, Reich-Ranicki lobt hymnisch. So recht freuen kann sich Walser darüber nach allem nicht.
Hier stehe ich und kann nicht anders: Kann man Walser lieben für seine Liebessehnsucht, um deretwillen er uns via Tagebuch an seinen existenziellen Nöten teilhaben lässt, sich wieder und wieder erklären will? Manche mögen solche Entblößungen peinlich finden, doch das war nie ein Walserscher Begriff. Seine Anerkennungskämpfe, seine durchschaubaren Inszenierungen folgen einer sich selbst nicht schonenden Künstlerlogik. Und Walser weiß es ja selbst: »Ich habe ein gestörtes Verhältnis zur Realität.« Insofern ist dieses Tagebuch einer überstandenen Krise ein großartiges, verstörendes Dokument, ja tatsächlich auch ein Vermächtnis: Denn es weist über sich selbst hinaus in die seelischen Untiefen, die jedes große Künstlerdasein kennt.
Martin Walser: Leben und Schreiben
Tagebücher 1974–1978; Rowohlt Verlag, Reinbek 2010; 590 S., kr. 218,50 inkl. moms
Eckart von Hirschhausen
Die Leber wächst mit ihren Aufgaben Komisches aus der Medizin.
'rororo Taschenbücher'.
zahlreiche farbige Cartoons.
kartoniert kr. 87,50 inkl. moms
Hilft Akupunktur beim Auto? Warum regt einen Glückstee so auf? Und wie findet man mit geschlossenen Augen seinen Traumpartner?
Arzt, Kabarettist und Bestsellerautor Dr. Eckart von Hirschhausen kennt sich aus im Leben, ihm ist nichts Menschliches fremd, und niemand ist vor ihm sicher. Mit diagnostischem Blick entdeckt er das Komische in Medizin und Alltag und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen: Kindern muss man Gemüse verbieten, die Bahn ist eine buddhistische Sekte, und die Löcher im Käse machen dick. Eckart von Hirschhausens Texte sind keine Placebos, sondern humorvolle Lebenshilfe in einer Welt, für die wir nie geschaffen wurden.
Ansteckend lustig!
tirsdag den 23. marts 2010
Norman Ollestad
Süchtig nach dem Sturm Roman.
Originaltitel: Crazy for the Storm.
Lesebändchen.
gebunden kr. 175,- inkl. moms
»Am 19. Februar 1979, kurz nach Sonnenaufgang, geriet unsere Cessna in einen Schneesturm und knallte in einen schroff abfallenden 2650 Meter hohen Berg. Mein Vater war 43, seine Freundin Sandra 30 und ich war 11 Jahre alt. Am Ende einer 9-Stündigen Feuerprobe war ich der einzige Überlebende.«
Während andere Kinder Fahrradfahren und Ball spielen, fährt Norman halsbrecherische Skirennen und suft mörderische Wellen. Immer angehalten von seinem Vater, Big Norman, den er gleichzeitig hasst und anbetet. Als er den gefahrvollen Abstieg in Schnee und Eis alleine meistert, dankt er nicht Gott, sondern seinem Vater, der ihn den Umgang mit der Angst gelehrt hat.
Norman Ollestad erzählt geradezu atemlos von seiner Kindheit im Malibu der 70er Jahre und von dem dramatischen Absturz in den Bergen. Vor allem aber erzählt er von der einzigartigen Beziehung zu dem Vater, der das Risiko anzog wie ein Magnet, dessen Willenskraft und unzähmbare Passion ihn immer wieder verzauberten. Eine mitreißende Hommage an das Leben, das immer mehr sein sollte, als nur zu überleben.
mandag den 22. marts 2010
Frank Schätzing
Limit Roman.
Lesebändchen.
gebunden kr. 228,- inkl. moms
"Limit", der neue Wissenschaftsthriller von Frank Schätzing spielt im Jahre 2025.
1972 war der Mensch letztmalig auf dem Mond. 2025 kehrt er dorthin zurück, um ein Element zu fördern, das alle Energieprobleme unseres Planeten lösen könnte. Fern von der Erde werden seine kühnsten Erwartungen übertroffen. Von seinen schlimmsten Befürchtungen.
Der Machtkampf um die Zukunft unseres Planeten hat begonnen: Die Nationen liefern sich einen erbitterten Wettlauf um die wertvolle Ressource Helium-3, eine neue saubere Energiequelle, die nur auf dem Mond vorkommt und das Ölzeitalter über Nacht beenden könnte.
Das atemberaubende Szenario einer sehr nahen Zukunft:
Mai 2025: Die Energieversorgung der Erde scheint gesichert, seit die USA auf dem Mond das Element Helium-3 fördern. Bahnbrechende Technologien des Konzerngiganten Orley Enterprises haben die Raumfahrt revolutioniert, in einem erbitter-ten Kopf-an-Kopf-Rennen versuchen Amerikaner und Chinesen, auf dem Trabanten ihre Claims abzustecken.
Während der exzentrische Konzernchef Julian Orley mit einer Schar prominenter Gäste zu einer Vergnügungstour ins All aufbricht, soll Detektiv Owen Jericho, den eine unglückliche Liebe nach Shanghai verschlagen hat, die untergetauchte Dissidentin Yoyo ausfindig machen. Was nach Routine klingt, ist tatsächlich der Auftakt zu einer alptraumhaften Jagd von China über Äquatorialguinea und Berlin bis nach London und Venedig. Denn auch andere interessieren sich für Yoyo, die offenbar im Besitz streng gehüteter Geheimnisse und ihres Lebens nicht mehr sicher ist.
Jericho muss sich mit der bildschönen, aber ziemlich anstrengenden Chinesin zusammentun, um den phantomgleichen Gegnern auf die Spur zu kommen. In einer Zeit, in der multinationale Konzerne der Politik zunehmend das Zepter aus der Hand nehmen, führen beide einen verzweifelten Kampf ums Überleben, gehetzt von einer Übermacht hochgerüsteter Killer. Die Suche nach den Drahtziehern führt mitten hinein in die Wirren afrikanischer Söldnerkriege, Machtkämpfe um Öl und alternative Energien, Vorherrschaftsträume im Weltraum - und zum Mond, auf dem sich Orleys Reisegruppe unvermittelt einer tödlichen Bedrohung gegenüber sieht.
Jetzt reinlesen: Gratis-Leseprobe (pdf)
"»Limit« ist ein spannender Science-Fiction der harten, wissenschaftsorientierten Sorte, ein Genre, das in Deutschland kein anderer Autor auf diesem hohen Niveau beherrscht. Nicht anders als von Schätzing zu erwarten, bekommt der Leser eine ungemein genau recherchierte Einführung in Astrophysik und Weltraumfahrt geboten; auch die Science-Fiction-Klassiker werden eifrig zitiert.
(...) Schätzing diskutiert die hochbrisanten Fragen nach der zukünftigen Energieversorgung der Menschheit, und er diskutiert sie so, dass eine größtmögliche Zahl von Lesern sich dafür interessieren wird."
Richard Kämmerlings, FAZ
Frank Schätzing, geboren 1957 in Köln, studierte Kommunikationswissenschaften, war Creative Director in internationalen Agenturen-Networks und ist Mitbegründer der Kölner Werbeagentur Intevi.
Anfang der Neunigzer begann er, Novellen und Satiren zu schreiben und veröffentlichte 1995 den historischen Roman Tod und Teufel. Nach zwei weiteren Romanen und einem Band mit Erzählungen erschien 2000 der Bestsellerroman Lautlos, ein politischer Thriller über den Weltwirtschaftsgipfel 1999, den die Presse als »schillernde Momentaufnahme des ausgehenden Jahrtausends« lobte.
Im Frühjahr 2004 erschien sein Roman "Der Schwarm". Das Buch hat seit Erscheinen über 920.000 Exemplare im Hardcover verkauft und wurde in 17 Sprachen übersetzt.
2004 erhielt Frank Schätzing den Corine-Preis und 2005 den Deutschen Science-Fiction-Preis. 2006 erschien sein zweites Buch über die Meere "Nachrichten aus einem unbekannten Universum". Frank Schätzing lebt und arbeitet in Köln.
fredag den 19. marts 2010
Michael Hardt, Antonio Negri
Common Wealth Das Ende des Eigentums.
Originaltitel: Commonwealth.
indbundet. kr. 355,- inkl. moms
In der momentanen Krise wächst das gesellschaftliche Unbehagen am Kapitalismus.
Viele Menschen fragen jetzt nach einer menschlicheren Alternative des Zusammenlebens. Eine Gesellschaft jenseits von Maximen wie Profit, Konkurrenz und Besitzdenken - ist das möglich? Michael Hardt und Antonio Negri, Autoren des Bestsellers »Empire«, entwickeln in ihrem neuen großen Werk einen provozierend optimistischen Gesellschaftsentwurf. Dieser beruht nicht mehr auf dem neoliberalen Gegensatz von Privatbesitz und öffentlichem Eigentum, sondern auf der Idee des Gemeinsamen (»common«). Ressourcen wie Wasser, Luft und Pflanzen und immaterielle Güter wie Wissen und Information gehören uns allen. Wenn wir sie teilen, wird der Weg frei für eine gerechtere Gesellschaft, an der alle partizipieren können.
Im Streit um das politische Profil des 21. Jahrhunderts bieten die Autoren ein zentrales Gegengewicht zu all jenen, die uns weismachen wollen, dass die derzeitige Politik- und Wirtschaftsform die einzig mögliche sei
onsdag den 17. marts 2010
György Dalos erhält Buchpreis in Leipzig
György Dalos hat vielen Ungarn Deutschland nahe gebracht. Mit der Vergabe des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Völkerverständigung an den Historiker ist die Leipziger Buchmesse eröffnet worden.
© Jan Woitas/dpa
Der ungarische Schriftsteller und Preisträger György Dalos
Die Laudatorin Lerke von Saalfeld würdigte den gebürtigen Ungarn beim Festakt im Leipziger Gewandhaus als "Mitteleuropäer, der in der europäischen Geistesgeschichte bestens beheimatet ist". "Wie ein Meteorologe durchleuchtet Dalos jeweils die Großwetterlage und die Kleinwetterlage, der Mensch ist nie Objekt der Verhältnisse, er bleibt Subjekt, im Guten wie im Schlechten", sagte die Journalistin.
György Dalos kam 1943 in Budapest zur Welt, aber sein Zuhause ist Europa. Derzeit lebt der 66-Jährige als Schriftsteller in seiner Heimatstadt und in Berlin, wo er von 1995 bis 1999 Direktor vom "Haus Ungarn", dem ungarischen Kulturinstitut, war. Dort brachte er den Deutschen die Kultur seiner Landsleute näher. Schon Mitte der achtziger Jahre hatte der studierte Historiker an der Spree gelebt: als Stipendiat des Berliner Künstlerprogramms des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst).
Vorangegangen waren viele Jahre in der ungarischen Oppositionsbewegung, in der sich der Autor seit den siebziger Jahren aktiv engagierte. Bald nach dem Erscheinen seines ersten Lyrikbandes 1964 wurde er lange Jahre mit einem Publikationsverbot belegt. Fast zwei Jahrzehnte lang durfte er kein Buch in seinem Heimatland veröffentlichen.
Dalos hat sich in seinem Werk oft auch satirisch mit der ungarischen Geschichte auseinandergesetzt. Zu seinem Schaffen gehören die Essaysammlung Ungarn - vom Roten Stern zur Stephanskrone sowie die Bände Die Beschneidung, Der Versteckspieler, Der Gottsucher, Seilschaften, Der Aufstand in Ungarn und zuletzt 2009 Der Vorhang geht auf. Das Ende der Diktaturen in Osteuropa.
Auf der Leipziger Buchmesse 2010 (18. bis 21. März) und dem dazugehörigen Literaturfest "Leipzig liest" werden 1500 Autoren und mehr als 2000 Aussteller aus 39 Ländern erwartet. Auch die beiden deutschen Literaturnobelpreisträger Günter Grass und Herta Müller wollen kommen. Schon am ersten Messetag wird die nächste bedeutende literarische Auszeichnung verliehen: der Preis der Leipziger Buchmesse. Er ist mit 45.000 Euro dotiert, die sich auf drei Kategorien aufteilen. Nominiert ist unter anderem Jungautorin Helene Hegemann mit ihrem umstrittenen Debüt Axolotl Roadkill.
Anne Weber: Luft und Liebe
Von einer, die auszog, ein Märchen zu leben
Von Sandra Kegel
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12. Februar 2010 Das letzte Wort ist geschrieben, das Manuskript fertig.“ Anders, als man es erwarten würde, ist das nicht der letzte Satz des neuen Buches von Anne Weber, sondern der erste. In ihrem sechsten Buch setzt die Autorin aufs Neue ein literarisches Ich in die Welt, das aller postmodernen Subjektivitätsdiskurse zum Trotz von der Person Anne Weber kaum zu trennen ist. Und doch wünscht man sich bald nichts sehnlicher, als dass es sich bei „Luft und Liebe“ tatsächlich nur um die fiktive Aneignung vom Leben handeln möge, auch wenn die Ich-Erzählerin, die wie Anne Weber eine in Paris lebende Schriftstellerin ist, unentwegt beteuert, das Unglück, von dem hier erzählt werden soll, sei ihr selbst widerfahren.
Es ist eine banale Geschichte wie aus einem Groschenroman, die hier in der doppelten ersten Person erzählt wird, der bevorzugten Zentralperspektive Anne Webers: Die Schriftstellerin hat sich verliebt, und der Mann liebt zurück. Beide sind nicht mehr die Allerjüngsten, und während sie die Pariser Solitude schon seit einiger Zeit satthat, scheint er, ein Adliger aus alter französischer Familie samt Märchenschloss in der Provinz, zu allem bereit. Das Paar denkt an Hochzeit, will zusammenziehen, man besucht die Eltern der Braut und wünscht sich ein Kind. Hierfür werden sogar die Dienste der Reproduktionsmedizin in Anspruch genommen. Alles läuft so wunderbar, dass es an ein Märchen grenzt. Bis dann, völlig unerwartet, der Traum der großen Liebe platzt.
Balzac muss das aufschreiben
Die unerhörte Begebenheit, auf die das Geschehen unaufhaltsam zusteuert und deren zentrales Motiv ein schlichter Plastikbehälter ist, soll hier aus romanrätseltechnischen Gründen verschwiegen werden. Dass es aber zur Katastrophe kommen wird, erfahren wir schon auf der ersten Seite, und auch, das sich die Heldin bis zur letzten Seite von dem Ereignis nicht erholen wird, für dessen Schilderung es ihrer Einschätzung nach „eines französischen Autors des neunzehnten Jahrhunderts, vielleicht eines Balzac“, bedurft hätte. Aus Verzweiflung, gesteht die Anne Weber des Romans, hat sie über die verpatzte Liaison bereits ein Buch geschrieben. Weil sie aber eben nicht Balzac ist, landet das Manuskript mit dem Titel „Armer Ritter“ nicht bei einem Verlag, sondern in Anne Webers Papierkorb.
In diesem missratenen Werk, von dem zu Beginn des Romans unentwegt die Rede ist, hat die Verfasserin die Charaktere so verfremdet, dass niemand Verdacht schöpfen soll, sie habe die Geschichte womöglich selbst erlebt. Sie tat so, „als sei das alles nicht mir, sondern einer anderen widerfahren, einer engen Freundin etwa“. Man kennt diese Finten. An Verschiebungen dieser Art, wie sie noch den „plumpesten Romanciers“ gelingen, scheitert die Roman-Erzählerin auf ganzer Linie. Vor allem wohl deshalb, weil die Geschichte nun einmal „wie geschaffen ist für einen schlechten Roman“.
Flucht in die fiktionale Parallelwelt
Anne Webers heiterer Ton kann über die Verzweiflung indes nicht hinwegtäuschen. Die Autorin flüchtet mit gleich zwei Versionen dieser angeblich wahren Geschichte, von denen freilich nur eine veröffentlicht wird, in eine fiktionale Parallelwelt. Das wiederum reflektiert der Roman gleich mit, wenn seiner Verfasserin darin vorgeworfen wird: „Du scheinst nur aufschreiben zu wollen, um die Geschichte schnell vergessen zu können.“
„Ich werde niemanden erfinden, denn ich berge die Welt.“ So hat Anne Weber, die 1964 in Offenbach am Main zur Welt gekommen ist und seit ihrem Literaturstudium als Übersetzerin und Autorin in Paris lebt, ihr poetologisches Verfahren einmal selbst beschrieben. Auch dieser Roman, der mit der Gattungsbezeichnung eher spielt, als dass er sie erfüllt, führt den Leser in ein Spiegelkabinett: Eine Romancière berichtet beim Romanschreiben von den Skrupeln, Ängsten und Empfindungen beim Romanschreiben. Als Anne Weber sich dann mit ihrem Alter ego namens Léa aus dem verworfenen Manuskript noch zu unterhalten beginnt, zu streiten und zu frotzeln – „Welcher Autor kann schon seiner eigenen Hauptfigur etwas abschlagen?“ –, zeigt sich ihre anarchische, aber auch kokette Lust an der Dekonstruktion.
Fleisch-und-Blut-Wesen
Doch so versponnen klug der knapp zweihundertseitige Roman beginnt – „auch für Romanfiguren gibt es Grenzen, die übrigens viel enger gezogen sind als bei uns Fleisch-und-Blut-Wesen“ –, geht ihm auf halber Strecke doch die Puste aus. Nicht nur die streitlustige Léa, die mit ihrer Schöpferin das eine oder andere pikante Detail verhandelt – „was hatte ich nicht alles über diese Léa erfinden müssen“, seufzt diese –, geht im Laufe der Handlung einfach verloren. Die Geschichte büßt auch ihre charmante Leichtigkeit ein – in ebendem Maß, in dem die Rache an dem perfiden Geliebten, der im ersten Manuskript den klebrigen Namen Enguerrand verpasst bekommt, immer wichtiger wird. Durch seinen Verrat zerfällt die ganze Identität der Ich-Erzählerin, die mit dem Boden unter den Füßen zusehends auch den Humor verliert. So wird der Roman mehr oder weniger unfreiwillig zum Rachewerk und das Schreiben zur Abwehrstrategie gegen die Implosion aller Gewissheiten. Was folgt, ist ein Kampf gegen das Abgleiten in die verzweifelte Erkenntnis, nie genug geliebt worden zu sein.
Ein großer Teil des Romans beschäftigt sich mit der durchweg ironischen Analyse der Aggregatszustände von Liebe, Hass und Bitterkeit, die die Heldin durchlebt. „Blind vor Liebe“: Dieses Klischee hat hier tatsächlich seine Entsprechung in der Wirklichkeit gefunden. Und nur damit, dass sie der unzeitgemäßen Romantik dieser Liebesgeschichte so vollkommen erlegen war, erklärt die Autorin sich und uns, wie sie ein ganzes Jahr lang dem Scharlatan auf dem Leim gehen konnte.
Distanz der dritten Person
„Luft und Liebe“ geht ein vermeintlich leichtes Thema mit spürbarer Unerbittlichkeit an. Eine Schicht nach der anderen wird abgetragen, eine schmerzende Wahrheit nach der anderen freigelegt. Und so erzählt das Buch zuletzt auch vom prekären Akt des Schreibens an sich. Als nach den Gesetzen der Chronologie die Katastrophe nicht mehr verheimlicht werden kann, sondern endlich erzählt werden muss, bringt es die Autorin nicht mehr fertig, sich die „Zwangsjacke der ersten Person“ überzuziehen. Doch auch die Distanz der dritten Person bietet keinen Schutz vor dieser Wirklichkeit „unter aller Kanone“. „Das nächste Mal erfinde ich eine Geschichte“, schreibt Anne Weber trotzig.
Der Roman, der soeben von der Jury des Leipziger Buchpreises auf die Shortlist gesetzt wurde, gewinnt immer dann, wenn seine Verfasserin, ausgestattet mit der Fähigkeit zur Selbstironie, um Identität und Selbstachtung ringt. Zwischendurch aber hat man den Eindruck, dass hier, ohne Rücksicht auf Verluste, eine Buchstabenarmee in einen Krieg geschickt worden ist, der anderswo längst verloren wurde.
Anne Weber: Luft und Liebe". Roman. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2010. 190 S. geb., kr. 158,- inkl. moms
Siegfried Lenz
Landesbühne
Gefängnisse gehören zu den geläufigen Handlungsorten in den Werken von Siegfried Lenz. Diesmal taucht er in seiner Verwechslungskomödie „Landesbühne” wieder auf.
Wer bei Lenz die schelmisch-humoristischen Stücke mag, wo jeder Realismus sich ins Märchenhafte wendet, meint unser Rezensent Wolfgang Schneider, der wird an der Novelle seine Freude haben.
tirsdag den 16. marts 2010
Susan Sontag
Wiedergeboren
Tagebücher 1947-1963 – übersetzt aus dem Englischen von Kathrin Razum
Erscheinungsdatum: 08.03.2010
Fester Einband, 384 Seiten
kr. 218,- inkl. moms
ISBN 978-3-446-23494-9
Hanser Verlag Bereits mit fünfzehn vertiefte sie sich in Rilke und Gide, mit siebzehn heiratete sie ihren Professor: Susan Sontag war eine ungewöhnliche Frau. Ihr Lebenshunger und ihre unstillbare Wissbegierde führten die junge Intellektuelle von Kalifornien nach Chicago, später nach Paris und New York. Die frühen Tagebuchnotizen der Kunstbegeisterten bieten unvermutete Einblicke in ihre widersprüchliche Persönlichkeit: Das Private - ihre Ehekrise, ihre Liebschaften und ihre Homosexualität - sind der Anlass für weitreichende, tiefsinnige Betrachtungen. Ihr intimes Selbstporträt ist das Zeugnis eines einzigartigen intellektuellen Werdegangs und gleichzeitig ein Zeitdokument ersten Rangs.
mandag den 15. marts 2010
Stasi-Akte
: Stasi-Akte Günter Grass - Aufgefallen wegen Provokation
Literatur, 12.03.2010, Jens Dirksen
Essen. Fünf Tage nach dem Bau der Mauer legte die Stasi einen ersten Suchzettel über den Schriftsteller Günter Grass an. Der Journalist Kai Schlüter hat ein Buch übe rdie Stasi-Akte verfasst: „Günter Grass im Visier“ - mit Kommentaren von Manfred Krug bis Willy Brandt.
Die Stasi hatte einen Heidenrespekt vor Günter Grass. Eigentlich galt in der DDR für ihn seit 1980 ein Einreiseverbot. Doch immer, wenn Grass als damaliger Präsident der Berliner Akademie der Künste das Land besuchen wollte, wurde das Verbot für die Dauer des Besuchs aufgehoben.
Nur fünf Tage nach dem Bau der Mauer legte die „Firma“ einen ersten Suchzettel an und begann, alles Erdenkliche über den Autor der „Blechtrommel“ zu sammeln: „Aufgefallen wegen Provokation“ lautet die erste Notiz.
Grass hatte die Zensur gegen Uwe Johnson eine „Schweinerei“ genannt
Provokant war sein unerschrockenes Aussprechen der Wahrheit. Schon auf dem V. Schriftstellerkongress der DDR 1961 hatte Grass die Zensur gegen Uwe Johnson eine „Schweinerei“ genannt, unter Beifall aus den hinteren Reihen. Das gab prompt Streit mit Hermann Kant, der später einer der Zuträger der Stasi in Sachen Grass werden sollte, neben „Laden“-Autor Erwin Strittmatter und Manfred Wekwerth, dem Chefregisseur am Berliner Ensemble.
Kant und Wekwerth verweigerten sich den Fragen des Journalisten Kai Schlüter. Dessen gerade erschienenes Buch „Günter Grass im Visier“ bringt nicht nur Aktenauszüge, sondern auch Kommentare und Dokumente von Grass und anderen, von Manfred Krug etwa, Willy Brandt, dem Verleger Klaus Wagenbach oder Pastor Schorlemmer.
Nach der verdrängten Waffen-SS-Mitgliedschaft auch eine dicke Ehrenerklärung
Nach der späten Entdeckung der verdrängten Waffen-SS-Mitgliedschaft vor dreieinhalb Jahren ist dieses Buch nun auch eine dicke Ehrenerklärung für Günter Grass. Nicht auszudenken, was die Stasi daraus gemacht hätte, wenn sie vom dunklen Fleck der Biografie erfahren hätte.
Ohnehin wird man gut daran tun, aus den Stasi-Akten vor allem Schlüsse über die Stasi zu ziehen. Grass selbst hat davor gewarnt, dass die Akten „wie Gift wirken“, wenn sie „wie gültige Dokumente gewertet werden“, weil ja Wichtigtuerei, Karrierismus und Denunziation viele Aussagen eingetrübt haben. Manches aber wird seine Richtigkeit haben: „Grass und seine Ehefrau waren sauber und ordentlich gekleidet“, hielten Oberstleutnant Eichentopf und Major Erdmann am 23. April 1988 fest.
søndag den 14. marts 2010
Alles Liebe, Euer Monstrum
Guiseppe Tomasi di Lampedusa: „Auf Reisen“
Alles Liebe, Euer Monstrum
Von Tilman Spreckelsen
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12. März 2009 Ganz geheuer ist dem Mann die Sache nicht. Er bereist die großen europäischen Metropolen, besucht London, Paris, Berlin, seine Börse ist einigermaßen gefüllt, man empfängt ihn freundlich. Und doch muss er sich seiner selbst in Briefen an die Daheimgebliebenen vergewissern, um all der Eindrücke Herr zu werden, die er äußerlich so kühl in sich aufnimmt, ein Fremder auch unter den Aristokraten, deren Stand er doch mit einigem Recht angehört. Aber was zählt die Herkunft aus einer der ältesten sizilianischen Familien im vornehmsten Club Londons? Und wie steht es eigentlich zu Hause, wo gerade jener Mussolini an die Macht gekommen ist, mit dem seine halbe Familie sympathisiert, während ihn die andere Hälfte schroff ablehnt?
Von Giuseppe Tomasi, dem Herzog von Palma und Fürsten von Lampedusa, sind eine Handvoll Erzählungen und ein überwältigender Roman auf uns gekommen: Letzteren, den „Gattopardo“, schrieb er in wenigen Monaten kurz vor seinem Tod im Sommer 1957, die Drucklegung des Werks, das seinen weltweiten Ruhm begründen sollte, erlebte er nicht mehr. Dass vor diesem Hintergrund jede bislang unbekannte Zeile von seiner Hand begeistert aufgenommen wird, ist kein Wunder, und so erregte auch die Nachricht, dass im Nachlass seiner Cousins, der Brüder Lucio (1901 bis 1969) und Casimiro (1894 bis 1970) Piccolo di Calanovella, knapp dreißig Reisebriefe des Autors aufgetaucht seien, vor drei Jahren einiges Aufsehen.
Reisebriefe in einschlägigen, von Stendhal bis Dickens entlehnten Posen
Nun liegen sie auf Deutsch vor, in einer hübschen Ausgabe des Piper Verlages, sie stammen wesentlich aus den Jahren zwischen 1925 und 1930 und erfüllen tatsächlich alles, was man von den Briefen eines begabten Dreißigers erwarten darf, der einen vertraulichen Dialog mit engen Freunden anspielungsreich über eine große räumliche Distanz führt.
„Das Monstrum hat geschrieben“; „Das Monstrum nimmt einen monumentalen Brief in Angriff“ – so beginnen die auf Hotelbögen notierten Berichte an Lucio und Casimiro im heimatlichen Sizilien; der korpulente Dichter zeichnet sich selbst lustvoll als eine Art Falstaff (wie überhaupt in den Reisebriefen einschlägige, von Stendhal bis Dickens entlehnte Posen eingenommen werden), er stichelt, ironisiert das Erlebte und wird doch wieder ganz ernst, wenn er etwa seitenlang vom Versuch erzählt, Porzellan aus dem Familienbesitz in London an den Mann zu bringen. Besucht er den vornehmsten Club der Stadt, dann lässt er es sich nicht nehmen, neben dem köstlichen Essen, der riesigen Bibliothek und den dezenten Begegnungen mit hochrangigen Politikern auch die Toilette zu preisen: „Pissoir aus schwarzem Marmor, ganz mit Porzellan ausgefliest: zwanzig Plätze. Waschbecken mit warmem Wasser, das einem die Haut verbrüht, und Bürstchen, wie es sie sonst nirgends gibt. Im Hintergrund Umkleideraum für vollständigere Verschönerung.“
Sie zeigen den resignierten Autor in einem Licht , das ihm nicht übel steht.
„Auf Reisen“
von Tomasi di Lampedusa, Guiseppe
Kaufen beiamazon.deLibri.deEs ist nicht nur das Bemühen, ein komplettes Bild der Örtlichkeit zu zeichnen, das den Briefeschreiber so detailliert werden lässt, sondern die unter den Cousins offenbar verbreitete Freude an der Zote (im November 1927 wird er, unter der Maske eines Fabrikanten von künstlichen Hoden, an die Cousins eine Art Prospekt schicken, die erfundenen Briefe dankbarer Kunden inklusive). „Doch, wie es bereits erwähnt hat, das Monstrum birgt neben dem Engel auch ein Schwein in sich; worauf es stolz ist“, schreibt er im Juli 1927 aus York, und im Licht der überlieferten Briefe scheint das keineswegs übertrieben.
Um aber die Briefe recht zu verstehen, muss man sich die Adressaten vergegenwärtigen. Als Künstler gelten beide – Lucio ist Dichter, Casimiro Maler, ihre Mutter ist Giuseppes Tante, die Schwester seiner Mutter. Die spiritistischen Neigungen der Familie sind berühmt, und während sich auf Casimiros Bildern putzige Gnomen und Elfen finden, versenkt sich Lucio gern in Zeitschriften, die von okkulten Phänomenen berichten.
„Wir sind fahle Schatten der echten Herren. Wir sind arm, und arm werden wir sterben.“ Das steht in einem Brief Tomasis aus London vom 5. August 1927, fast genau dreißig Jahre vor seinem Tod in einem schäbigen römischen Hotelzimmer. Seine Briefe aber hüteten die Cousins, und es dauerte weitere fünfzig Jahre, bis sie ans Licht kamen. Eine Sensation sind sie nicht. Aber sie sind geeignet, den resignierten Autor des „Gattopardo“ in einem Licht erscheinen zu lassen, das ihm nicht übel steht.
Guiseppe Tomasi di Lampedusa: „Auf Reisen“. Aus dem Italienischen von Giovanna Waeckerlin-Induni. Piper Verlag, München 2009. 240 S., geb., kr. 175,- inkl. moms.
Alles Liebe, Euer Monstrum
Von Tilman Spreckelsen
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12. März 2009 Ganz geheuer ist dem Mann die Sache nicht. Er bereist die großen europäischen Metropolen, besucht London, Paris, Berlin, seine Börse ist einigermaßen gefüllt, man empfängt ihn freundlich. Und doch muss er sich seiner selbst in Briefen an die Daheimgebliebenen vergewissern, um all der Eindrücke Herr zu werden, die er äußerlich so kühl in sich aufnimmt, ein Fremder auch unter den Aristokraten, deren Stand er doch mit einigem Recht angehört. Aber was zählt die Herkunft aus einer der ältesten sizilianischen Familien im vornehmsten Club Londons? Und wie steht es eigentlich zu Hause, wo gerade jener Mussolini an die Macht gekommen ist, mit dem seine halbe Familie sympathisiert, während ihn die andere Hälfte schroff ablehnt?
Von Giuseppe Tomasi, dem Herzog von Palma und Fürsten von Lampedusa, sind eine Handvoll Erzählungen und ein überwältigender Roman auf uns gekommen: Letzteren, den „Gattopardo“, schrieb er in wenigen Monaten kurz vor seinem Tod im Sommer 1957, die Drucklegung des Werks, das seinen weltweiten Ruhm begründen sollte, erlebte er nicht mehr. Dass vor diesem Hintergrund jede bislang unbekannte Zeile von seiner Hand begeistert aufgenommen wird, ist kein Wunder, und so erregte auch die Nachricht, dass im Nachlass seiner Cousins, der Brüder Lucio (1901 bis 1969) und Casimiro (1894 bis 1970) Piccolo di Calanovella, knapp dreißig Reisebriefe des Autors aufgetaucht seien, vor drei Jahren einiges Aufsehen.
Reisebriefe in einschlägigen, von Stendhal bis Dickens entlehnten Posen
Nun liegen sie auf Deutsch vor, in einer hübschen Ausgabe des Piper Verlages, sie stammen wesentlich aus den Jahren zwischen 1925 und 1930 und erfüllen tatsächlich alles, was man von den Briefen eines begabten Dreißigers erwarten darf, der einen vertraulichen Dialog mit engen Freunden anspielungsreich über eine große räumliche Distanz führt.
„Das Monstrum hat geschrieben“; „Das Monstrum nimmt einen monumentalen Brief in Angriff“ – so beginnen die auf Hotelbögen notierten Berichte an Lucio und Casimiro im heimatlichen Sizilien; der korpulente Dichter zeichnet sich selbst lustvoll als eine Art Falstaff (wie überhaupt in den Reisebriefen einschlägige, von Stendhal bis Dickens entlehnte Posen eingenommen werden), er stichelt, ironisiert das Erlebte und wird doch wieder ganz ernst, wenn er etwa seitenlang vom Versuch erzählt, Porzellan aus dem Familienbesitz in London an den Mann zu bringen. Besucht er den vornehmsten Club der Stadt, dann lässt er es sich nicht nehmen, neben dem köstlichen Essen, der riesigen Bibliothek und den dezenten Begegnungen mit hochrangigen Politikern auch die Toilette zu preisen: „Pissoir aus schwarzem Marmor, ganz mit Porzellan ausgefliest: zwanzig Plätze. Waschbecken mit warmem Wasser, das einem die Haut verbrüht, und Bürstchen, wie es sie sonst nirgends gibt. Im Hintergrund Umkleideraum für vollständigere Verschönerung.“
Sie zeigen den resignierten Autor in einem Licht , das ihm nicht übel steht.
„Auf Reisen“
von Tomasi di Lampedusa, Guiseppe
Kaufen beiamazon.deLibri.deEs ist nicht nur das Bemühen, ein komplettes Bild der Örtlichkeit zu zeichnen, das den Briefeschreiber so detailliert werden lässt, sondern die unter den Cousins offenbar verbreitete Freude an der Zote (im November 1927 wird er, unter der Maske eines Fabrikanten von künstlichen Hoden, an die Cousins eine Art Prospekt schicken, die erfundenen Briefe dankbarer Kunden inklusive). „Doch, wie es bereits erwähnt hat, das Monstrum birgt neben dem Engel auch ein Schwein in sich; worauf es stolz ist“, schreibt er im Juli 1927 aus York, und im Licht der überlieferten Briefe scheint das keineswegs übertrieben.
Um aber die Briefe recht zu verstehen, muss man sich die Adressaten vergegenwärtigen. Als Künstler gelten beide – Lucio ist Dichter, Casimiro Maler, ihre Mutter ist Giuseppes Tante, die Schwester seiner Mutter. Die spiritistischen Neigungen der Familie sind berühmt, und während sich auf Casimiros Bildern putzige Gnomen und Elfen finden, versenkt sich Lucio gern in Zeitschriften, die von okkulten Phänomenen berichten.
„Wir sind fahle Schatten der echten Herren. Wir sind arm, und arm werden wir sterben.“ Das steht in einem Brief Tomasis aus London vom 5. August 1927, fast genau dreißig Jahre vor seinem Tod in einem schäbigen römischen Hotelzimmer. Seine Briefe aber hüteten die Cousins, und es dauerte weitere fünfzig Jahre, bis sie ans Licht kamen. Eine Sensation sind sie nicht. Aber sie sind geeignet, den resignierten Autor des „Gattopardo“ in einem Licht erscheinen zu lassen, das ihm nicht übel steht.
Guiseppe Tomasi di Lampedusa: „Auf Reisen“. Aus dem Italienischen von Giovanna Waeckerlin-Induni. Piper Verlag, München 2009. 240 S., geb., kr. 175,- inkl. moms.
Ryszard Kapuściński
An der Borderline
War der große Reporter Ryszard Kapuściński auch ein Dichter?
© AFP
Ryszard Kapuscinski in seinem Warschauer Büro im Jahr 2003
Der Reporter kommt an, ein Schuss fällt. Das Opfer sinkt in seine Arme und haucht die letzten Worte: »Morgen um fünf, die Revo…« Und tatsächlich findet zur genannten Zeit ein Staatsstreich statt. Es gibt Reporter, die immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Der 2007 verstorbene Ryszard Kapuściński gehörte zu dieser Spezies. Wo immer es brannte, er war da, und oftmals war er der einzige schreibende Zeuge. Er hat von den Umstürzen und Aufbrüchen in der postkolonialen Ära berichtet und jenseits der immergleichen Stereotype ein anderes, ein empathisches Bild der sogenannten Dritten Welt gezeichnet. Er wurde von uns Korrespondenten bewundert und beneidet, seine polnischen Landsleute adelten ihn als »Journalisten des Jahrhunderts«.
Nun ist eine Biografie erschienen, die das Denkmal demontiert. Artur Domoslawski, ein Vertrauter Kapuścińskis, behauptet, der Weltreporter habe in seinen Reportagen nicht nur kräftig manipuliert, sondern Geschichten erdichtet und sogar Begegnungen erfunden, zum Beispiel mit Che Guevara oder Patrice Lumumba. Kapusciński – ein Lügenbaron? So weit geht der Biograf nicht, aber er weist nach, dass es sein Held mit den Grenzen zwischen Literatur und Journalismus nicht so genau nahm. Er war ein Borderline-Schreiber, der bisweilen Fakten und Fiktionen vermischte.
An der Borderline
War der große Reporter Ryszard Kapuściński auch ein Dichter?
© AFP
Ryszard Kapuscinski in seinem Warschauer Büro im Jahr 2003
Der Reporter kommt an, ein Schuss fällt. Das Opfer sinkt in seine Arme und haucht die letzten Worte: »Morgen um fünf, die Revo…« Und tatsächlich findet zur genannten Zeit ein Staatsstreich statt. Es gibt Reporter, die immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Der 2007 verstorbene Ryszard Kapuściński gehörte zu dieser Spezies. Wo immer es brannte, er war da, und oftmals war er der einzige schreibende Zeuge. Er hat von den Umstürzen und Aufbrüchen in der postkolonialen Ära berichtet und jenseits der immergleichen Stereotype ein anderes, ein empathisches Bild der sogenannten Dritten Welt gezeichnet. Er wurde von uns Korrespondenten bewundert und beneidet, seine polnischen Landsleute adelten ihn als »Journalisten des Jahrhunderts«.
Nun ist eine Biografie erschienen, die das Denkmal demontiert. Artur Domoslawski, ein Vertrauter Kapuścińskis, behauptet, der Weltreporter habe in seinen Reportagen nicht nur kräftig manipuliert, sondern Geschichten erdichtet und sogar Begegnungen erfunden, zum Beispiel mit Che Guevara oder Patrice Lumumba. Kapusciński – ein Lügenbaron? So weit geht der Biograf nicht, aber er weist nach, dass es sein Held mit den Grenzen zwischen Literatur und Journalismus nicht so genau nahm. Er war ein Borderline-Schreiber, der bisweilen Fakten und Fiktionen vermischte.
Nyt fra Lit.Cologne
Politisches mit Herta Müller und Ai Weiwei
Das größte europäische Literaturfest ist eröffnet – zum zehnten Mal: Unter anderem lesen Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und der chinesische Künstler Ai Weiwei.
© Rolf Vennenbernd/dpa
Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Lit.Cologne zum größten Literaturfestival Europas entwickelt. In diesem Jahr steht in Köln die Frage im Mittelpunkt: "Wie politisch kann, darf oder muss künstlerische Arbeit sein, in der Literatur wie in der bildenden Kunst?"
Um diese Frage geht es am 19. März auch bei einer Solidaritätsveranstaltung für den chinesischen Autor Liao Yiwu. Er ist zwar eingeladen, kann aber nicht kommen, weil China ihm die Ausreise verweigerte. "Wir lassen trotzdem lesen", kündigte Festivalleiter Rainer Osnowski an. Gelesen wird aus Liaos Buch Fräulein Hallo und der Bauernkaiser – Chinas Gesellschaft von unten. Außerdem wird aus Briefen zitiert und ein Telefon-Interview mit dem Autor abgespielt.
Über Kunst und Diktaturen spricht Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller mit dem chinesischen Künstler Ai Weiwei. Weiwei gehört zu den bedeutendsten Gegenwartskünstlern, der in seinen Arbeiten die politische Führung Chinas kritisiert.
Das größte europäische Literaturfest ist eröffnet – zum zehnten Mal: Unter anderem lesen Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und der chinesische Künstler Ai Weiwei.
© Rolf Vennenbernd/dpa
Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Lit.Cologne zum größten Literaturfestival Europas entwickelt. In diesem Jahr steht in Köln die Frage im Mittelpunkt: "Wie politisch kann, darf oder muss künstlerische Arbeit sein, in der Literatur wie in der bildenden Kunst?"
Um diese Frage geht es am 19. März auch bei einer Solidaritätsveranstaltung für den chinesischen Autor Liao Yiwu. Er ist zwar eingeladen, kann aber nicht kommen, weil China ihm die Ausreise verweigerte. "Wir lassen trotzdem lesen", kündigte Festivalleiter Rainer Osnowski an. Gelesen wird aus Liaos Buch Fräulein Hallo und der Bauernkaiser – Chinas Gesellschaft von unten. Außerdem wird aus Briefen zitiert und ein Telefon-Interview mit dem Autor abgespielt.
Über Kunst und Diktaturen spricht Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller mit dem chinesischen Künstler Ai Weiwei. Weiwei gehört zu den bedeutendsten Gegenwartskünstlern, der in seinen Arbeiten die politische Führung Chinas kritisiert.
Artikel-ServicesHerta Müller und Ai Weiwei in Köln
Luftblasen und Stinkefinger
Von Oliver Jungen
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Zum Auftakt sollte über Kunst und Totalitarismus geredet werden: Nobelpreisträgerin Herta Müller mit dem chinesischen Dissidenten Ai Weiwei
12. März 2010 Die Absicht war gut: Die im Laufe der Zeit immer interessanter gewordene Lit.Cologne wollte sich zum Auftakt ihres zehnten Jubiläums Qualität gönnen: thematisch, personell und stilistisch. Und das Publikum stürzte sich geradezu auf die schnell ausverkaufte Diskussion zwischen der Nobelpreisträgerin Herta Müller und dem chinesischen Künstler Ai Weiwei über Totalitarismus und Kunst. Welche Ironie, dass sich genau diese Veranstaltung in Belanglosigkeiten verlor.
Mit der Banalität des Bösen hatte das nichts zu tun, schon mehr mit der Verschnarchtheit des Dirigenten: Michael Krüger ist ein vorzüglicher Verleger – auch Herta Müllers –, ein anerkannter Autor, aber wahrlich kein Moderator. Drei reichlich weit gefasste Fragen stellte er (mehrfach) im Laufe des Abends, dazwischen einnickend: Wie war das so als Kind im Totalitarismus? Ist es normal oder ein Skandal, wenn die Werke im eigenen Land nicht bekannt sind? Ist dieses Internet mit all den „Klickern“ – „ich selbst bin sehr unbegabt darin“ – heute der zweite Staat im Staat?
Wann ist man ein Diktaturenfreund?
Herta Müller ist kein Vorwurf zu machen: Nachdem sie die Einstiegsfrage verdaut hatte – Lesen Sie mein Werk, hätte sie sagen müssen, aber zu ihrem eigenen Verleger? –, wurde sie locker, ja gut gelaunt, und bescherte die wenigen Glanzpunkte des Abends: die ziemlich komische Anekdote etwa, wie sie einmal ein chinesisches Glasauge zum Schmuckstück umfunktionierte, was einem rumänischen Arzt böse aufstieß. Applaus ernteten ihre klugen Reflexionen über die monströse Zärtlichkeit von Diktatoren und über eine „Würde im Zwang“, indem man oktroyierte Strafen mit größter Gewissenhaftigkeit erledigt.
Womit wir bei Ai Weiwei wären, denn der hatte erzählt, wie sein Vater, ein bekannter Dichter, in der Kulturrevolution zum Toilettenputzen verurteilt worden war und dies sicher sehr gründlich gemacht habe. Das aber war schon seine einzige konkrete Antwort. Ansonsten blieb es bei Luftblasen wie der, dass die Zustände in China keine demokratischen sind. Auch Herta Müllers empirisch gedeckte Skepsis ob der großen Interneteuphorie prallte an dem technikgläubigen Künstler ab, ohne dass er einen Grund nennen konnte: „Vielleicht bekommen wir am Ende die Freiheit nicht, aber die Sehnsucht danach ist von Anfang an da.“
Zum Thema
Herta Müller macht alles richtig
Ai Weiwei verklagt Ministerium
Ai Weiwei präsentierte in Köln vor allem seine Werke, die gerne die Überwachung selbst ausstellen. Aber ist man schon ein Diktaturenfreund, wenn man den künstlerischen Wert von Stinkefingerfotos (auf dem Tiananmen-Platz oder vor dem Weißen Haus) nicht erkennt? Diskutiert wurde das leider nicht. Überhaupt wurde nicht diskutiert. Ai Weiwei war offenbar nur aus einem Grund gekommen: um unentwegt Bilder von Herta Müller für seinen Blog zu machen. Immerhin ohne Stinkefinger.
Text: F.A.Z.
Luftblasen und Stinkefinger
Von Oliver Jungen
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Zum Auftakt sollte über Kunst und Totalitarismus geredet werden: Nobelpreisträgerin Herta Müller mit dem chinesischen Dissidenten Ai Weiwei
12. März 2010 Die Absicht war gut: Die im Laufe der Zeit immer interessanter gewordene Lit.Cologne wollte sich zum Auftakt ihres zehnten Jubiläums Qualität gönnen: thematisch, personell und stilistisch. Und das Publikum stürzte sich geradezu auf die schnell ausverkaufte Diskussion zwischen der Nobelpreisträgerin Herta Müller und dem chinesischen Künstler Ai Weiwei über Totalitarismus und Kunst. Welche Ironie, dass sich genau diese Veranstaltung in Belanglosigkeiten verlor.
Mit der Banalität des Bösen hatte das nichts zu tun, schon mehr mit der Verschnarchtheit des Dirigenten: Michael Krüger ist ein vorzüglicher Verleger – auch Herta Müllers –, ein anerkannter Autor, aber wahrlich kein Moderator. Drei reichlich weit gefasste Fragen stellte er (mehrfach) im Laufe des Abends, dazwischen einnickend: Wie war das so als Kind im Totalitarismus? Ist es normal oder ein Skandal, wenn die Werke im eigenen Land nicht bekannt sind? Ist dieses Internet mit all den „Klickern“ – „ich selbst bin sehr unbegabt darin“ – heute der zweite Staat im Staat?
Wann ist man ein Diktaturenfreund?
Herta Müller ist kein Vorwurf zu machen: Nachdem sie die Einstiegsfrage verdaut hatte – Lesen Sie mein Werk, hätte sie sagen müssen, aber zu ihrem eigenen Verleger? –, wurde sie locker, ja gut gelaunt, und bescherte die wenigen Glanzpunkte des Abends: die ziemlich komische Anekdote etwa, wie sie einmal ein chinesisches Glasauge zum Schmuckstück umfunktionierte, was einem rumänischen Arzt böse aufstieß. Applaus ernteten ihre klugen Reflexionen über die monströse Zärtlichkeit von Diktatoren und über eine „Würde im Zwang“, indem man oktroyierte Strafen mit größter Gewissenhaftigkeit erledigt.
Womit wir bei Ai Weiwei wären, denn der hatte erzählt, wie sein Vater, ein bekannter Dichter, in der Kulturrevolution zum Toilettenputzen verurteilt worden war und dies sicher sehr gründlich gemacht habe. Das aber war schon seine einzige konkrete Antwort. Ansonsten blieb es bei Luftblasen wie der, dass die Zustände in China keine demokratischen sind. Auch Herta Müllers empirisch gedeckte Skepsis ob der großen Interneteuphorie prallte an dem technikgläubigen Künstler ab, ohne dass er einen Grund nennen konnte: „Vielleicht bekommen wir am Ende die Freiheit nicht, aber die Sehnsucht danach ist von Anfang an da.“
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Ai Weiwei präsentierte in Köln vor allem seine Werke, die gerne die Überwachung selbst ausstellen. Aber ist man schon ein Diktaturenfreund, wenn man den künstlerischen Wert von Stinkefingerfotos (auf dem Tiananmen-Platz oder vor dem Weißen Haus) nicht erkennt? Diskutiert wurde das leider nicht. Überhaupt wurde nicht diskutiert. Ai Weiwei war offenbar nur aus einem Grund gekommen: um unentwegt Bilder von Herta Müller für seinen Blog zu machen. Immerhin ohne Stinkefinger.
Text: F.A.Z.
lørdag den 13. marts 2010
Ein europäisches Ereignis: Herta Müllers Roman "Atemschaukel" über die Deportation der Rumäniendeutschen in die Sowjetunion nach 1945.
Die Atemschaukel - ein kühnes Sprachkunstwerk, das seinesgleichen sucht in der europäischen Literatur unserer Zeit. Von seltsamen Dingen, erschreckenden Erscheinungen hören wir in diesem Roman, vom "Hungerengel" und vom "Blechkuss", von "Kartoffelmenschen" und der "Atemschaukel". Der Hungerengel sitzt immer mit am Tisch, wenn die Insassen des Lagers die karge Ration Brot verzehren, die ihnen die "Brotoffizierin" zugeteilt hat, quälend langsam essen die einen, verzweifelt schlingen die anderen; der Hungerengel wacht über ihren Schlaf, er geht durch ihre Träume, begleitet sie in die Fabrik und auf das Feld hinaus, wo sie schuften, bis sie umfallen und in die Grube gekippt werden oder sich irgendwie aufrecht halten, um dann bis zum nächsten Tag in ihre Baracken zurückzukehren.
Sie sind Sträflinge, ohne je verurteilt worden zu sein, und wissen anfangs nicht einmal, in welcher Weite der russischen Steppe sie sich befinden und was ihr Strafmaß ist. Erst nach fünf Jahren, 1950, ist die Haft für die, die nicht in die "Mörtelgrube" sprangen, nicht erschossen wurden, nicht verhungerten, zu Ende. Dann kehren sie heim und werden niemandem erzählen können, was ihnen widerfahren ist. Selbst wenn sie es schaffen, die Scham zu überwinden, und über die Jahre der Demütigung und Qual berichten wollen, finden sie keinen, der ihnen zuhören möchte. Denn über die Vergangenheit ist in ganz Rumänien, das im Zweiten Weltkrieg an der Seite Nazideutschlands stand und sich jetzt der großen kommunistischen Brudermacht ergeben hat, das Schweigen verhängt.
Mutig und sprachschöpferisch
Im Winter 1945 wurden Abertausende Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in die Sowjetunion deportiert. Die Rote Armee requirierte sie als menschliches Material, das im Wiederaufbau der durch den Krieg zerstörten Sowjetunion Verwendung finden sollte. In bestimmten Regionen waren es buchstäblich alle Frauen und Männer zwischen 17 und 45 Jahren, die verschleppt wurden und in Bergwerken, Kolchosen, Kombinaten als Zwangsarbeiter ums Überleben arbeiten mussten. Zahllose von ihnen sind verreckt und in namenlosen Gräbern verscharrt worden.
Doch ihr Schicksal blieb auch dann noch tabu, als sich das kommunistische Rumänien eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der Sowjetunion errang. Denn wer an die Verbrechen, die an den Rumäniendeutschen nach 1945 von der Sowjetmacht verübt wurden, erinnern wollte, hätte auch daran erinnern müssen, dass Rumänien zuvor, im Zweiten Weltkrieg, ein faschistischer Staat gewesen ist. Und das passte nicht in das nationalkommunistische Projekt, das sich schon bald aller möglichen reaktionären Geister und Gespenster der Geschichte zu bemächtigen begann.
Herta Müller, die mit ihren rumäniendeutschen Landsleuten oft hart ins Gericht ging und nicht verhehlte, dass auch viele Sachsen und Schwaben unheilvoll in den Nationalsozialismus verstrickt waren, hat es nun auf sich genommen, denen eine Stimme zu geben, über deren Schicksal so lange und so gründlich geschwiegen wurde. Ihr neuer Roman erzählt von dem großen, kaum je benannten Unrecht, das den rumäniendeutschen Deportierten angetan wurde, von ihrer Entwürdigung im Lager, in der der einzelne seiner Individualität beraubt und zum Überlebens-Tier degradiert wurde, von dem Hunger, den sie alle litten und an dem viele starben. Es ist ein erschütternder Roman, das beste Buch, das Herta Müller, die schon für so viele Prosa- und Essaybände zu rühmen war, geschrieben hat, ein verstörendes Meisterwerk, mutig und sprachschöpferisch, ein Versuch, aus dem Inneren der Hölle zu sprechen, in einer ganz eigenen, bildstarken Sprache, die dort Worte finden muss, wo die herkömmlichen versagen, das Grauen nicht zu fassen vermögen.
64 kurze Abschnitte
Der Roman ist aus 64 kurzen Abschnitten gebaut, ein jeder von ihnen schreitet ein Revier des Lagers, eine Höllenstunde des Lageralltags, ein Gefühl, eine Verlorenheit, einen Schmerz der Inhaftierten aus. Herta Müller hat für die "Atemschaukel" mit den Deportierten ihres Dorfes gesprochen, vor allem aber hat sie sich von Oskar Pastior, der als Jugendlicher in die Sowjetunion verschleppt wurde, immer wieder vom Leben und Sterben im Lager erzählen lassen. So sollte ein gemeinsames Buch beider entstehen, doch nach dem überraschenden Tod des Dichters im Herbst 2006 musste Herta Müller mit ihren Notizen, Aufzeichnungen, Plänen alleine zurande kommen und ihr eigenes Buch verfassen, das zwar auch die Lagergeschichte von Oskar Pastior erzählt, aber dennoch nicht als Schlüsselroman gelesen werden sollte.
Ein kühnes Sprachkunstwerk
Die Deportierten, eine bunte, bald schon in das gleiche Grau des vorzeitigen Alterns, der Auszehrung und Apathie verkommene Gruppe, werden durch den Transport schockhaft jener Dehumanisierung ausgesetzt, die in den nächsten fünf Jahren schauerliche Folgen für sie haben wird. Die bürgerliche Dame, der Advokat, das schüchterne Mädchen, der homosexuelle Jugendliche - sie alle haben, wenn sie zwölf Tage lang ihre Notdurft im gemeinsamen Waggon verrichten mussten und stinkend, hungrig und durstig in der Nacht an einem unbekannten Ort ausgeladen und von schreienden Soldaten empfangen werden, einen Gutteil dessen, was für sie bürgerliche Sekurität und individuelles Selbstbewusstsein bedeutete, schon verloren. "Vielleicht wurde in dieser Nacht nicht ich, aber der Schrecken in mir plötzlich erwachsen", wird Leopold Auberg später über die Fahrt im Viehwaggon sagen.
Ausgemergelt von der Arbeit und dem Hunger, zusammengepfercht in Schlafbaracken, verlieren die Zwangsarbeiter in den nächsten Monaten nicht nur alle Attribute ihres Standes, sondern auch die der Geschlechter: "Denn in der Dreieinigkeit von Haut, Knochen und dystrophischem Wasser sind Männer und Frauen nicht zu unterscheiden und geschlechtlich stillgelegt . . . die Halbverhungerten sind nicht männlich oder weiblich, sondern objektiv neutral wie Objekte – wahrscheinlich sächlich."
Bestürzende Bilder
Auch der Ich-Erzähler vergisst im Lager, was ihm in Hermannstadt Sorgen bereitete und ihn sehnsüchtig machte, dass er sich nämlich wider siebenbürgischen Anstand und schwäbische Sitte dem eigenen Geschlecht zugeneigt fühlte. Der Trieb, der stattdessen alles beherrscht, der schlicht die ganze Existenz in Besitz nimmt, ist der Nahrungstrieb: „Ich wollte langsam essen, weil ich länger was von der Suppe haben wollte. Aber mein Hunger saß wie ein Hund vor dem Teller und fraß."
Herta Müller findet bestürzende Bilder, die Allgegenwart des Hungers im Denken, Fühlen, im Tun und Träumen der Hungernden zu fassen: „Ich esse einen kurzen Schlaf, dann wache ich auf und esse den nächsten kurzen Schlaf." Im Traum sind all die Darbenden auf Hochzeiten und essen sich durch das vielgängige Menü, die ganze siebenbürgische Speisekarte kehrt nächtens wieder. Wer den jahrelangen Hunger überlebt, bleibt gleichwohl in seinem Bannkreis: „Ich bin eingesperrt in den Geschmack des Essens, wenn ich esse. Ich esse seit meiner Heimkehr aus dem Lager, seit sechzig Jahren, gegen das Verhungern."
Im Lager Nowo-Gorlowka, irgendwo in der Steppe, herrscht eine penible bürokratische Ordnung, die periodisch durch reine Willkür verschärft wird. Über jeden Sack Zement, den die Häftlinge zu schleppen haben, muss abends genau abgerechnet werden, dabei gibt es für sie weder Anlass noch Gelegenheit, etwas vom Zement abzuzweigen. Aber die grammgenaue Abrechnung ist ein Mittel, permanenten Terror auszuüben und Zwietracht zwischen die Inhaftierten zu säen: "Höher als jede Wand wächst das Misstrauen." Samstag nachts ist es besonders gefährlich, da feiert die Wachmannschaft und trinkt Schnaps, aus Spaß an der Sache wird bald mal jemand erschossen. Furchtbar ist aber auch die Justiz, die die Häftlinge untereinander üben, wobei der Diebstahl von Brot das schlimmste Verbrechen ist und von ihnen grausam geahndet wird.
Herta Müller lässt aus dem Chor der Inhaftierten die eine und andere Gestalt hervortreten: den gewalttätigen, seine Gunst willkürlich verteilenden Kapo Prikulitsch und seine Geliebte Bea, den Rasierer Enyeter, den Brotdieb Karli, dem alle Zähne ausgeschlagen werden, damit er nie mehr hartes Brot essen kann, und über den alle Insassen urinieren; den Zither-Spieler David Lommer, einen Juden, der versehentlich auf die Liste gekommen ist, die schwachsinnige Kati, die all die Jahre nicht wissen wird, wo sie ist und was mit ihr geschieht, den Advokaten Gast, der seiner Frau die Suppe stahl und der doch unschuldig daran war, dass sie verhungerte, denn nicht er hatte ihre Suppe gestohlen, sondern "sein Hunger konnte nicht anders", als die Ehefrau um die überlebensnotwendigen Kalorien zu betrügen.
Kühnes Sprachkunstwerk
Trotz dieser scharf umrissenen Porträts zeigt Herta Müller jedoch einprägsam, dass in der Welt des Lagers die alte Vorstellung von einer Individualität, die es in einem Porträt voller unverwechselbarer Züge zu fassen gälte, zunichte wird. Das Individuum selbst wird zum Lagerwesen umgeformt, dem fast alles verloren geht, was jenes einst ausgemacht haben mag: "Das Lager ist eine praktische Welt. Die Scham und das Gruseln kann man sich nicht leisten."
Nach vier Jahren wird es besser, die Zwangsarbeiter erhalten Lohn, können sich im nahen „Russendorf" Nahrung und Kleidung kaufen. "Aus uns wurden wieder Männer und Frauen, als wäre es die zweite Pubertät." Nach fünf Jahren sind sie wieder daheim, sieht man von den 334 Toten ab, die "im Register der Krankenbaracke in Frieden ruhen". Leopold Auberg wird zuhause ein "Nichtrührer", er hält still und schweigt. Dieses Schweigen ist nun gebrochen worden, in einem kühnen Sprachkunstwerk, das seinesgleichen sucht in der europäischen Literatur unserer Zeit.
HERTA MÜLLER: Atemschaukel. Roman. Carl Hanser-Verlag, München 2009.
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