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fredag den 5. november 2010
der Traum der Kelten
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Artikel-ServicesMario Vargas Llosas neuer Roman
Europa war die Wiege des Bösen
Mario Vargas Llosa stellt in Madrid seinen neuen Roman „Der Traum des Kelten“ vor. Er handelt von den europäischen Verbrechen der Kolonialzeit. Und er erscheint in Deutschland überraschenderweise nicht bei Suhrkamp, sondern bei Rowohlt.
Von Paul Ingendaay, Madrid
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TeilenTwitter04. November 2010 Da steht er auf dem Podium des Madrider Kulturzentrums Casa de América und lässt sich feiern, bleibt aber bescheiden, und wer es nicht glaubte, müsste nur den wohlüberlegten Sätzen in seinem weichen peruanischen Spanisch lauschen: Mario Vargas Llosa hat mit vierundsiebzig Jahren die höchste Ehrung der literarischen Welt erfahren, aber der Nobelpreis ist für einen, der einem so strengen Arbeitsrhythmus folgt wie er, ein schlimmer Zeitfresser.
„Ich versuche, meine Schreibroutine beizubehalten“, sagt er, „aber es ist nicht einfach. Menschen belagern mein Haus. Ich schlafe zwei, drei Stunden pro Nacht, wenn ich überhaupt schlafe.“ Er habe nie daran gedacht, diese Auszeichnung zu erhalten, sondern wollte immer nur „gute Bücher schreiben“.
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© dapd
Der Nobelpreis ist ein schlimmer Zeitfresser: Mario Vargas Llosa bei seiner Buchvorstellung in Madrid
Seinen neuesten Roman hat er mitgebracht, „El sueño del celta“ (Der Traum des Kelten, Alfaguara Verlag). Das Buch liegt jetzt in allen Ländern der spanischsprachigen Welt aus, in Madrid wird schon eine Marathonlesung veranstaltet, es ist der sichere Bestseller. Die Moderatorin drückt noch einmal den Dank Lateinamerikas für die Zuerkennung der Ehrung aus Schweden aus, dann sagt sie, die Übersetzungsrechte des Romans seien schon in zweiundzwanzig Länder verkauft, darunter auch Deutschland. Später fragen wir nach, wer denn der glückliche Verlag sei, und die Moderatorin zeigt uns das Blatt mit der Liste, die frisch von der Agentur Carmen Balcells in Barcelona kommt: Rowohlt steht darauf.
Damit verlässt Vargas Llosa nach etwa drei Jahrzehnten den Suhrkamp Verlag und kehrt zu dem Haus zurück, das seine frühen Titel auf Deutsch publizierte: „Die Stadt und die Hunde“, „Das grüne Haus“ und „Die ewige Orgie“, seinen Essay über Flaubert. Doch der üppige Garten der modernen lateinamerikanischen Literatur, den Siegfried Unseld im Suhrkamp Verlag angelegt hat, ist um einen mächtigen Baum ärmer.
Das Geheimnis ruht im Grab„Der Traum des Kelten“ schildert auf 450 Seiten das Leben von Roger Casement (1864 bis 1916), einem Iren katholisch-protestantischer Herkunft, der zwei sehr verschiedene Arten Ruhm erwarb. Einmal, weil er als britischer Konsul schonungslose Berichte über die Grausamkeiten der belgischen Kolonialmacht im Kongo (1904) und der Peruvian Amazon Company im Amazonasbecken (1912) verfasste, wofür er gelobt, geadelt, herumgereicht und mit guten Gründen gefürchtet wurde. Und zum anderen, weil er als irischer Nationalist in Deutschland gegen Großbritanniens Herrschaft über Irland agitierte, wofür er unmittelbar vor dem Dubliner Osteraufstand im Jahr 1916 in London ins Gefängnis geworfen und drei Monate später gehängt wurde. Vargas Llosas Roman endet mit dem Augenblick, in dem man dem Verurteilten die Schlinge um den Hals legt und der formvollendete britische Henker ihm zuflüstert: „Wenn Sie den Atem anhalten, geht es schneller, Sir.“
Eine wichtige Rolle für Casements Ansehensverlust spielten die sogenannten „Black Diaries“, in denen der Diplomat eine Chronik seiner homosexuellen Aktivitäten erstellt hatte. Die Echtheit dieser Tagebücher wurde oft in Zweifel gezogen, doch heute neigt man dazu, sie für authentisch zu halten. Homosexualität stand in England unter Strafe; zusammen mit dem Stigma des Vaterlandsverrats reichte sie aus, um den berühmten, kurz zuvor noch hochangesehenen Mann jeder Unterstützung zu berauben. Für Vargas Llosa sind diese Aufzeichnungen eher das Produkt einer überhitzten Phantasie, und die Homosexualität der Hauptfigur wird im Roman eher mit zarten Strichen gezeichnet. Kein Thema für große Enthüllungen. Das Geheimnis ruht mit seinem Träger im Grab.
Die Beschäftigung des peruanisch-spanischen Autors mit Roger Casement reicht einige Jahre zurück. In einem Essay über Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ (2001) berichtet er von der Begegnung der beiden Männer im Kongo und erwähnt Conrads Bewunderung für Casements sicheres Urteil über die belgische Kolonialpolitik. Die Entzauberung des einen nahm die des anderen vorweg, denn Conrad stieg aus seinem Dreijahresvertrag als Kapitän der Handelsschifffahrt aus und kehrte nach sechs Monaten nach England zurück. Beide Männer legten, jeder auf seine Weise, niederschmetterndes Zeugnis vom angeblich segensreichen Wirken europäischer Zivilisation, Religion und Handelskultur in Afrika ab - Conrad durch seine vieldeutige Erzählung, Casement durch seinen Bericht über Folter, Mord und Ausbeutung, die es dem belgischen König Leopold II. (Vargas Llosa zählt ihn neben Hitler und Stalin zu den großen politischen Verbrechern des Jahrhunderts) ermöglichten, zu einem der reichsten Männer der Erde zu werden.
Mancher Dialog wirkt unfreiwillig naiv
Es habe ihn beschäftigt, wie leicht gebildete, religiöse Männer zu Barbaren geworden seien, erzählt Vargas Llosa jetzt in Madrid. Auf einer Fläche, die 75 Prozent der Fläche Europas umfasse, sei durch Gier und Profitstreben jede Legalität verschwunden. „Der Traum des Kelten“ darf in dieser Beziehung als populäres Sachbuch gelesen werden. Belgische Militärs - die Force Publique - pressten die kongolesische Bevölkerung nicht nur in unbezahlten Arbeitsdienst von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, sie erlegten jedem Dorf auch eine Quote von Nahrungsmitteln auf, die für die Besatzungsmacht zu besorgen waren. Da die Quoten weit über der Arbeitskapazität lagen, gehörten Auspeitschen und das Abhacken von Händen, Füßen und Geschlechtsteilen zum Alltag. Männer verkauften ihre Kinder; Frauen wurden in Bordelle gesperrt, bis die Schulden bezahlt waren; die terrorisierten Dörfer verloren durch die Schreckensherrschaft der Kolonialmacht die Hälfte, manchmal drei Viertel ihrer Bevölkerung.
Roger Casements Enthüllungen hatten seinerzeit eine ungeheure öffentliche Wirkung und versetzten die Diplomaten verschiedener Länder in Aufregung. Viele der Ausbeuterfirmen waren in London an der Börse notiert. Im Jahr 1905 schrieb Mark Twain einen höhnischen satirischen Monolog König Leopolds II. und illustrierte ihn mit Fotografien von Kongolesen mit abgehackten Händen. Heutige Bürgerkriege, Korruption und Machtmissbrauch, so Vargas Llosa, seien die direkte Folge der damaligen europäischen Politik.
In den Essays dieses wachen politischen Kopfes und modernen Aufklärers stößt man immer wieder auf die Forderung, Literatur möge gesellschaftlich zu etwas nütze sein, sie solle sich dem Gedudel und dem Unterhaltungsbetrieb ebenso verweigern wie der politischen Anästhesie. Verständlich also, dass Vargas Llosa sich von seinem Thema gefangennehmen ließ, in Bibliotheken auf drei Kontinenten forschte und mit unzähligen Experten sprach. In Kongo übrigens traf er nur auf einen Einzigen, dem der Name Roger Casement ein Begriff war. Es scheint, als habe dieser Gedächtnisschwund der Historie den Romanautor mit seiner eigentlichen Aufgabe versehen: die Geschichte von der Erkenntnis des Bösen in allen Details auszubreiten und sie mit Daten, Namen und Schauplätzen zu versehen. An diesem Gewicht hat der Roman „Der Traum des Kelten“ schwer zu tragen, und mancher erfundene Dialog wirkt unfreiwillig naiv.
Da lacht Mario Vargas Llosa
In „Die Ringe des Saturn“ hat der 2001 viel zu früh gestorbene Schriftsteller W. G. Sebald gezeigt, wie es anders ginge. Kapitel fünf dieses erstaunlichen Buches handelt auf fünfunddreißig Seiten von Joseph Conrad und Roger Casement. Der Autor, so erzählt er uns, ist im grünen Samtfauteuil vor einer Fernsehdokumentation über die beiden Kongo-Reisenden eingeschlafen; ein paar Sätze haben ihn aber mit gespenstischer Präzision bis in seine Träume verfolgt. Dann, nach dem Aufwachen, will Sebald es genauer wissen. Er liest nach. Aber er sagt uns nicht, was er gelesen hat. Von seiner Recherche verrät er uns kein Wort. Er erzählt nur, er beschwört, er schwebt mit halbgeschlossenen Augen über den Dingen und zieht aus diesen beiden tragischen, abgekämpften Helden der Entzauberung eine Poesie, die man vielleicht nur herausholen konnte, wenn man Sebald hieß.
Eine letzte Frage aus dem Madrider Publikum. Manche Schriftsteller, sagt ein schwedischer Journalist, seien nach der Zuerkennung des Nobelpreises erschlafft und hätten aufgehört. Ob das bei ihm auch zu befürchten sei? Da lacht Mario Vargas Llosa wie über einen guten Witz. Nein, er arbeite immer, sein Leben sei Schreiben, viele fänden das langweilig, er nicht. „Der Tod“, sagt er dann, „wird mich mit der Feder in der Hand antreffen.“
© REUTERS
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dapd, REUTERS
fredag den 8. oktober 2010
NOBELPRIS til VARGAS LLOSA
Literaturnobelpreis für Vargas Llosa
Die Verteidigung der Freiheit
In Mario Vargas Lllosa verbinden sich glücklich ein ästhetischer und ein politischer Geist. Die ideologischen Verirrungen seiner Heimat machten ihn zu einem glühenden Verteidiger individueller Freiheit, der die ganze Weite liberalen Denkens durchmisst. Aus einer Laudatio von Frank Schirrmacher.
Mit Worten gegen Worte kämpfen: Mario Vargas Llosa
08. Oktober 2010 „Romane zu schreiben“, so hat er einmal notiert, „ist ein Aufstand gegen die Wirklichkeit, gegen Gott, gegen die Schöpfung Gottes, die die Wirklichkeit ist.“ Literatur ist ein Aufstand, das heißt: ein Akt der Befreiung. Sie versorgt mit Alternativen, Optionen, aber ehe sie es tut, muss sie den Mut haben, das was ist, nicht als etwas anzuerkennen, was notwendig so und nicht anders sein kann. Das ist ästhetisches Allgemeinwissen. In die Sprache der Politik und Gesellschaft übertragen aber heißt das, es ist die Geburt des Individuums aus dem Geist einer Rebellion. Anders als es die schöngeistigen Schwärmer meinen, befeuert diesen Aufstand nicht nur die Suche nach den letzten Wahrheiten, nach Gott, nach der Schönheit. Das alles sind Ewigkeitsfragen.
Es geht auch eine Nummer kleiner. Es geht darum, dass man das Vorhandene in Frage stellt, weil man will, das es dem Individuum besser geht: geistig - gewiss -, aber auch sozial und ökonomisch. Viele Schriftsteller haben im totalitären zwanzigsten Jahrhundert daraus den Schluss gezogen, kollektivistische Ideologien seien gleichsam die realpolitische Version der literarischen Utopie. Ich kenne nur wenige, die zu einer Zeit, als noch großer Mut zu diesem „Aufstand“ gehörte, den anderen Weg gingen: die die bescheidene Frage nach dem kleinen Glück stellten; die Respekt hatten vor dem Willen und Wollen des Einzelnen und seiner Sehnsucht nach Wohlfahrt. Für die Jahre zwischen 1960 und 1989 kenne ich nur einen, der über literarischen Weltrang verfügt, einen, der wusste, wovon er redet, weil er aus einer Gegend stammt, die seit Generationen zum Laboratorium von Ideologien und Diktaturen geworden ist: Mario Vargas Llosa.
Mario Vargas Llosa und Frank Schirrmacher bei der Verleihung des Freiheitspreises in der Frankfurter Paulskirche
Es muss Anfang der achtziger Jahre gewesen sein, als ich ihn zum ersten Mal traf, im Hause von Siegfried Unseld, der in Deutschland sein kongenialer Verleger wurde. Es war ein Abendessen. Am Tisch wurde politisiert. Einer, ein typischer westeuropäischer Intellektueller der damaligen Zeit, beklagte das Ausbleiben der sozialistischen Revolution in Südamerika und fragte Llosa, in völliger Verkennung seines Gesprächspartners, ob dieses Ausbleiben nicht die Tragödie seines Kontinents sei. Darauf Llosa: „Ich glaube, der typische Südamerikaner will nicht so leben wie in Kuba oder in der DDR. Ich glaube, der typische Südamerikaner würde gerne so leben wie Sie.“
Die Lehre aus dem Zerfall
Mit sechsundzwanzig Jahren veröffentlicht Mario Vargas Llosa seinen ersten Roman und betritt sofort, nein, nicht die Bühne der Literatur, sondern die der Weltliteratur. 1962 war das, und mit Recht spricht einer seiner großen Bewunderer, Daniel Kehlmann, von einem in jeder Hinsicht „ungeheuerlichen Werk“.
„Die Stadt und die Hunde“ erzählt, basierend auf eigenen Erfahrungen, vom brutalen Alltag in einer peruanischen Militärschule. Wer den europäischen Schulroman kennt, von den berühmten Passagen in den „Buddenbrooks“ bis zum „Schüler Gerber“, der lese dieses Buch: Hier wird eine Sozialisation, eine Prägung beschrieben, für die das Vokabular zivilisierter Unterdrückungssysteme nicht mehr ausreicht. Es ist jenseits davon.
Vor einem Jahr hat Llosa diesem Erstling gleichsam aus dem Rückblick geantwortet, mit seinem gleichfalls autobiographischen Roman „Das böse Mädchen“. Hier spannt sich die Handlungszeit von den fünfziger bis in die späten achtziger Jahre. Es ist eine Rekapitulation von Geschichte aus der Perspektive des halben Emigranten, überreich, um das nur beiläufig zu erwähnen, an jenem Humor, der für Llosa typisch ist, eine Gesellschafts- und Mentalitätsgeschichte im kleinen, vor allem eine Liebesgeschichte. Aber zugleich ist es eine politische und eine Wirtschaftsgeschichte.
Im Hintergrund des Romans nämlich spielt sich der politische und ökonomische Verfall von Peru ab, und hier geht es um Dinge, die wir heute ein klein bisschen anders lesen als zuvor. Der Onkel des Erzählers berichtet in Briefen über die Lage in der Heimat, am Schluss nur noch mit kaum leserlicher Schrift, und der Erzähler ist, während er als Kosmopolit in der Welt unterwegs ist, und nun hören wir Llosa selbst, „Schritt für Schritt den wirtschaftlichen Katastrophen gefolgt - Inflation, Verstaatlichung, Bruch mit den Kreditorganisationen, Preis- und Devisenkontrolle, Rückgang der Beschäftigung und des Lebensstandards -, die Alan Garcias Maßnahmen dem Land bescherten“.
Ein engagierter Literat
Man muss daran erinnern, dass Llosa im März 1988 die Freiheitsbewegung „Moviemento Libertad“ gründet und im Juli 1989 die Präsidentschaftskandidatur für Liberale und Bürgerliche in der FREDEMO übernahm. Einer der Gründe war die von Garcia durchgeführte Verstaatlichung der Banken und die Aussicht, das sein potentieller Nachfolger Fujimori die Dinge radikalisieren würde. Llosa behielt Recht; das Fujimori-Regime drohte mit der Aberkennung seiner Staatsbürgerschaft, und auch die Tatsache, das Fujimori später mit Haftbefehl gesucht wurde, war keine Genugtuung, sondern nur eine traurige Bestätigung eines Mannes, der nicht bestätigt werden wollte.
Llosa gehört wie die anderen großen südamerikanischen Autoren, man denke an Borges und Cortazar, zu jener Riege literarischer Begabungen, die die Immigrations- und Erlebniswelt Südamerikas mit Europa und vor allem der europäischen Intelligenz der fünfziger und sechziger Jahre verband. Wie fast alle seiner Generation hat auch ihn Sartres Satz der engagierten Literatur erreicht, die Aufforderung und die Hoffnung, durch Literatur Gesellschaft verändern zu können.
Noch heute bekennt sich Llosa zu Sartre, aber nicht dem politischen Sartre, sondern dem Glauben an die bewusstseinsverändernde Kraft von Literatur. Nur dass er sich auf die Seite des Individuums geschlagen hat und die Kollektive mit Misstrauen, ja Furcht betrachtet: Kein anderer hat so ein sicheres Gespür für die Diktatur im Zustand der Verpuppung, für eine humanitätstriefende Rhetorik, in der in Wahrheit sich bereits der Totalitarismus verpuppt. Es sind ja Worte, die die Diktatoren aller Länder und Ideologien, missbrauchen, Worte der Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit. Wenn das so ist, das ist die gedankliche Operation Llosas, können Worte gegen die Worte etwas ausrichten.
Der weite Sinn des Liberalismus
Es ist nicht gut und vielleicht ein historischer Fehler, dass in Deutschland seit einigen Jahren Liberalismus nur mit Wirtschaftsliberalismus assoziiert wird. Dadurch konnte es geschehen, dass die große Tradition des liberalen Gedankens wie der Bewusstseinskern des Kapitalismus selbst wirken konnte. „Diese Sicht der Dinge“, so schreibt Llosa, „ist nicht weniger dumm, als das, was die Marxisten einst gepredigt haben. Die Marxisten erklären alles ökonomisch, und mache Liberale glauben, der Markt könne aller Probleme Herr werden. Aber kein einziger großer Liberaler hat so primitiv argumentiert.“
Literatur ist ein Verfahren der Freiheitsherstellung, so kann man ihn zusammenfassen, weil sie das tut, was jedes Kind kennt, was am Anfang jeder Karriere, jedes Aufstiegs, jeder Selbsterfindung steht: Sie sieht in der Wirklichkeit eine Maschinerie von Lebensmöglichkeiten, von Optionen, nicht von Einschränkungen. „Der richtig verstandene Liberalismus“, schreibt Llosa, „ist eben keine Ideologie, sondern ein offenes, der Selbstkritik verpflichtetes Ideensystem.
Seine modernitätsstiftende Kraft beruht unbestritten darauf, dass aus ihm die Grundideen hervorgegangen sind, die unsere demokratischen Gesellschaften prägen: die Menschenrechte, die Freiheit der Meinungsäußerung, die Anerkennung von Verschiedenheit, Toleranz, Gewaltenteilung und Misstrauen gegenüber jeder Art von zu großer politischer Macht“. Für solche Gedanken wurde Llosa von manchen Kollegen hart, zuweilen oft ungerecht kritisiert. Gerade in Deutschland ist ihm der Tadel manchen Großschriftstellers zuteil geworden, der die bequeme Teilung der Welt in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse, in Sozialismus und Kapitalismus gefährdet sah.
Verteidigung vor dem Totalitären
Diese Kritik verkennt, dass das Wort, das im genannten Zitat und im Werk Llosas eine bedeutende Rolle spielt, ein Hauptwort ist: Selbstkritik. Llosa ist ein unbequemer Alliierter, und als jemand, der aus den Medien kommt, weiß ich, wovon ich rede. Man lese nach, wie er die Freiheit der Meinungsäußerung gegen den Missbrauch dieser Meinungsäußerung abgrenzt. Mario Vargas Llosa ist der Autor des Individuums und der Verteidiger seiner individuellen Freiheit - er schreibt, in einem Wort, die Gegenerzählung zu den totalitären und kollektivistischen Manipulationen unserer Zeit.
„Wir haben uns geirrt“, so sagte er einmal. „Die Menschen brauchen Religion.“ Er meint damit nicht Religion im engen, klassischen Sinn. Er meint Religion im Wortsinne, als Rückbindung des Menschen. Auch Religionen überliefern sich in Büchern, und die Nähe der großen Erzählungen über den Menschen ist groß, ganz gleich, ob sie aus der Welt des Profanen oder der Welt des Sakralen kommen. Llosa, ein Bibliophiler von Rang, der eine Bibliothek von achtzehntausend Bänden sein eigen nennt, zeigt gerade weil er ein Mann der Freiheit ist, den Anwälten der reinen Geldakkumulation, des Materialismus, der Verschwendung, dass Liberalismus ohne Aufstand, ohne Selbstkritik und ohne tiefen Respekt vor dem Geistigen im wahrsten Sinne des Wortes undenkbar ist. Dies wäre auch in Deutschland zu verstehen: Ein Liberalismus, der nur auf Talkshows und Reformrhetorik setzt, reicht nicht aus. Er muss die Gesellschaft neu denken, er muss in der unüberschaubaren Komplexität der modernen Welt den Menschen an sich selbst erinnern.
Ein anderer großer südamerikanischer Schriftsteller, einer, den Vargas Llosa bewundert, obwohl er ganz anders ist als er, der große Realist, der Argentinier Jorge Luis Borges, erzählt folgende Geschichte:„Im Morgengrauen träumte ihm, dass er sich in einer der Höhlen der clementinischen Bibliothek befindet. ,Was suchst du?‘, fragte ihn ein Bibliothekar, der eine schwarze Brille trug. ,Ich suche Gott‘, antwortet Hladik. ,Gott‘, antwortet der Bibliothekar, ,ist einer der Buchstaben auf einer der Seiten in einem der vierhunderttausend Bände in der clementinischen Bibliothek. Meine Eltern und die Eltern meiner Eltern haben diese Buchstaben gesucht. Ich selbst bin blind geworden bei der Suche nach ihm‘.“
Wir sagen nicht, dass Mario Vargas Llosa ihn gefunden hat, den Buchstaben. Das wäre vermessen. Aber wir sagen, dass er uns alle auf die Suche nach ihm sehend gemacht hat.
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Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der F.A.Z., hielt diese Laudatio im Jahr 2008 anlässlich der Vergabe des Freiheitspreises der Friedrich-Naumann-Stiftung an Mario Vargas Llosa.
Text: FAZ.NET
Bildmaterial: picture-alliance/ dpa, Wonge Bergmann
onsdag den 18. august 2010
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fredag den 6. august 2010
Et hus i Istanbul
Elif Shafak
Der Bonbonpalast Originaltitel: Bit Palas.
'Süddeutsche Zeitung Bibliothek der Metropolen'.
gebunden kr. 130,- inkl. moms
Ein Haus als Metapher für eine ganze Stadt: Der Bonbonpalast verwebt kunstvoll die Geschichten der zahlreichen Hausbewohner mit der Geschichte und Gegenwart Istanbuls, einer Stadt zwischen Mystik, Religion und der Kraft der Moderne. Ein Roman, der vor Geschichten nur so sprudelt, Geschichten, die so unglaublich sind und so real wie der Geruch des Hauses, dessen Quelle ganz am Ende an unerwarteter Stelle gefunden wird.
mandag den 2. august 2010
en spændende dame fra USA
Naomi Wolf
Wie zerstört man eine Demokratie Das 10-Punkte-Programm.
Originaltitel: The End of America. Letter of Warning to a Young...
kartoniert kr. 87,50 inkl. moms
Eine fulminante Verteidigung der Demokratie
Demokratie muss mit Zivilcourage verteidigt werden, damit Diktaturen daran gehindert werden, auf die Bühne der Geschichte zurückzukehren. Mit Scharfblick und exzellenten historischen Analysen beschreibt Naomi Wolf zehn Schritte, die den Niedergang funktionierender Demokratien charakterisieren. In Zeiten von Bürgerüberwachung, Datenspeicherung und Sicherheitshysterie ist dieses Buch aktueller denn je.
det snigende diktatur
Die leise Diktatur Das Schwinden der Freiheit.
gebunden kr. 200,- inkl. moms
Wer eine Diktatur erlebt hat, schätzt Demokratien wie ein Paradies: keine Gulags, KZs oder Gestapo. Und doch ist Vorsicht geboten. "Bei den wenigsten Gefängnissen sieht man die Gitter", spitzte es der Kabarettist Oliver Hassencamp zu.
Unsere Freiheit verdampft. Ursachen sind ein Staat und ein Europa, die zu einer "fürsorglichen" Diktatur mutieren. Der Staat reguliert und kontrolliert immer mehr und überschwemmt die Bürger mit Gesetzen und Verordnungen.
Den Autoren dieses Bandes reicht es! Sie haben genug von Parteien und Medien, die uns aufzwingen, wie zu denken und zu reden ist. Sie wehren sich gegen Kirchenfeindlichkeit, die Einschränkung ihrer Religionsfreiheit als Christen, Abtreibung und Euthanasie sowie gegen den neuen Antisemitismus der Linken, gegen eine ausufernde Kriminalität, gegen Islamisierung und Überfremdung und den verschämten Umgang mit der eigenen Kultur und Identität.
Ein Buch, das sich entschieden gegen die leise Diktatur
der "Freiheitsfresser" wehrt.
finanskrisen....
Kai A. Konrad, Holger Zschäpitz
Schulden ohne Sühne? Warum der Absturz der Staatsfinanzen uns alle trifft.
s/w. Abbildungen.
gebunden kr. 175,- inkl. moms
Alles, was man über die Schuldenkrise wissen muss. Kurz und bündig in drei Teilen:
Eine kleine deutsche Finanzgeschichte
Die großen Staatsbankrotte der Vergangenheit - und wie es zur gegenwärtigen Lage kommen konnte
Warum Staaten Pleite gehen können
Die verhängnisvollen Mythen zur Staatsverschuldung - und wie sie tatsächlich funktioniert
Wege aus der Billionenfalle
Was Staatslenker tun sollten
Wie Staatsbürger ihr Geld retten
Können Staaten Pleite gehen? Wollen wir wetten? Kai A. Konrad, einer der renommiertesten Ökonomen Deutschlands, und der Wirtschaftsjournalist Holger Zschäpitz zeigen, wie es zur aktuellen Lage kommen konnte, warum wir alle betroffen sind und wie man sein Geld retten kann. Unsere Zukunft in Europa hängt, wie alles, am Geld. Jetzt, wenn Griechenland und womöglich weitere Länder der Euro-Zone in finanzielle Schwierigkeiten geraten und die Hilfe der Staatengemeinschaft beanspruchen, werden die Weichen für die Zukunft des Euros und der Europäischen Union gestellt.
Auf Basis neuester ökonomischer Forschung zeigen Kai A. Konrad und Holger Zschäpitz, wie es zu dem massiven Anstieg der Staatsverschuldung kam, sie ziehen historische Parallelen, entlarven populäre Irrtümer und diskutieren realistische Lösungsmöglichkeiten. Wenn wir aus der Billionenfalle nicht herauskommen, drohen uns allen - Arbeitnehmern, Rentnern, Kapitalanlegern - drastische Folgen, die der Hyperinflation und den Währungsreformen, die Deutschland in seiner Geschichte schon mehrfach erlebt hat, in nichts nachstehen.
"Dieses Buch ist ebenso faszinierend wie beängstigend, denn es handelt davon, wie Europas Politiker mit einer unkontrollierten Schuldenlawine die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel setzen. Angebliche Rettungsaktionen für bedrängte Staaten sichern im Moment das politische Überleben und führen doch auf die Dauer zu immer mehr Schulden, bis möglicherweise der Euro selbst kollabiert. Wie man das Unheil noch abwenden kann erfährt der Leser aus einer tiefgründigen, faktenreichen und spannend geschriebenen Analyse zweier hochkompetenter Autoren."
Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts
"Kai A. Konrad und Holger Zschäpitz geben analytische Einblicke in die vielfältigen Gründe und Abgründe staatlicher Schuldenpolitik."
Christine Scheel, MdB, Bündnis 90/Die Grünen
"Eine hervorragende Analyse der Schuldenkrise, ihres Entstehens und ihrer Folgen. Dieses Buch wird eines der wichtigsten Bücher des Jahres werden ¿ auch für Nicht-Ökonomen!"
Roland Berger, Roland Berger Strategy Consultants
"Die Autoren fordern zu Recht auch auf der Euro-Ebene eine effizientere Kontrolle der nationalen Staatsfinanzen."
Hans Tietmeyer, Präsident der Deutschen Bundesbank a.D.
"Anders als sein Sujet ist die Lektüre des Buches ein Genuss ohne Reue: wissenschaftlich fundiert, hochaktuell und flott geschrieben."
Wolfgang Franz, Vorsitzender der "Fünf Wirtschaftsweisen"
"Eineinhalb Jahre nach der Lehmann-Pleite sind mit der Griechenland-Krise ganze Staaten als Systemrisiko deklariert und durch gemeinschaftliche Rettungspakete aufgefangen worden. Die Autoren kritisieren die ungezügelte Risikobereitschaft an den Finanzmärkten, deren Folgen häufig von der Allgemeinheit zu tragen sind. Aus dieser Perspektive ist eine bessere Finanzmarktregulierung erforderlich, damit die Märkte Risiken richtig widerspiegeln. Eine sehr lesenswerte Lektüre, kenntnisreich geschrieben, mit vielen historischen Parallelen."
Dr. Michael Heise, Allianz Chefvolkswirt
Holger Zschäpitz ist leitender Wirtschaftsredakteur bei der "Welt" und der "Welt am Sonntag", und schreibt regelmäßig für "Cicero". 1989 erlebte der gebürtige Leipziger seinen ersten Staatsbankrott, der ihm persönlich großen Gewinn bescherte: Aus dem Facharbeiter für Datenverarbeitung konnte endlich ein leidenschaftlicher Ökonom und Journalist werden.
Prof. Dr. Kai A. Konrad ist Direktor am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München. Er ist einer der forschungsstärksten deutschen Ökonomen und ein vielgefragter Berater in Medien und Politik, u.a. im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen.
onsdag den 7. juli 2010
roman fra Israel
David Grossman
Eine Frau flieht vor einer Nachricht Roman.
Originaltitel: Ischa borachat me-bessora.
Lesebändchen.
gebunden kr. 218,- inkl. moms
Ora erzählt: von ihrer Liebe zu zwei Männern, von Wut und Zärtlichkeit, Verzweiflung und Leidenschaft und von ihrem Sohn Ofer, der sich freiwillig für einen Militäreinsatz im Westjordanland meldet. Seine Mutter hofft, das drohende Unglück zu bannen, indem sie ihrem Jugendfreund Avram, der im Jom-Kippur-Krieg selbst Soldat war, von Ofers Vorhaben berichtet. Und unerreichbar zu sein, falls das Schreckliche geschieht ... Autor und Friedensaktivist David Grossman spiegelt die großen Fragen in den kleinen Erlebnissen des Alltags. Er zeigt, wie in Israel das Schicksal der Menschen unauflöslich mit Politik verbunden ist. Ein mitreißendes, unvergessliches Buch und ein Protest gegen den Krieg.
fredag den 2. juli 2010
kandidaten
Joachim Gauck
Winter im Sommer - Frühling im Herbst Erinnerungen.
schwarz-weiss Illustrationen.
gebunden kr. 201,- inkl. moms
Der politische und sehr persönliche Rückblick eines friedlichen Revolutionärs
Eine Schlüsselfigur der jüngsten deutschen Geschichte erinnert sich: Joachim Gauck, engagierter Systemgegner in der friedlichen Revolution der DDR und herausragender Protagonist im Prozess der Wiedervereinigung als erster Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen.
Joachim Gauck verlebte seine Kindheit in einem Dorf an der Ostseeküste. Später studierte er Theologie in Rostock und fand seinen Weg in die Kirche in Mecklenburg. Distanz zum DDR-System prägte seine Tätigkeit von Anfang an. Wie selbstverständlich wurde er Teil einer kritischen Bewegung und schließlich zu einer Symbolfigur im Umbruch von 1989. Nach dem Mauerfall übernahm Gauck politische Verantwortung, er wurde Abgeordneter im ersten freien Parlament der DDR und erster Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. Der Kampf gegen das Vergessen und Verdrängen blieb als Redner und Kommentator sein großes Thema, auch als er nach zehn Jahren aus dem Amt ausschied.
Zu seinem 70. Geburtstag hat Joachim Gauck seine Erinnerungen aufgeschrieben. Ihm ist ein gleichermaßen politisches wie emotional berührendes Buch gelungen, in dem er in klaren Bildern die traumatisierende Erfahrung der Unfreiheit und das beglückende Erlebnis der Freiheit nachzeichnet und den schwierigen Übergang von erzwungener Ohnmacht zu einem selbstbestimmten Leben beschreibt.
søndag den 20. juni 2010
ny roman af Katharina Hacker
Katharina Hacker: Mit den Erdbeeren wachsen
Mit den Erdbeeren wachsen
Erst gewann sie den Deutschen Buchpreis, dann hatte sie einen Riesenkrach mit Suhrkamp wegen ihres letzten Romans. Jetzt erscheint die neue Erzählung von Katharina Hacker: leicht, klug und im besten Sinne unzeitgemäß.
Von Friedmar Apel
Es geht allen gut - eigentlich
So ist es gut, dass Katharina Hackers erstes Buch im neuen Verlag von diesen Aspekten nicht berührt wird. Allerdings geht es in „Die Erdbeeren von Antons Mutter“ wieder um die kleine Gruppe von kinderlosen Vierzigjährigen, die in Schöneberg und Kreuzberg leben und arbeiten und sonntags um den Schlachtensee in Zehlendorf spazieren, denen es eigentlich gutgeht und die trotzdem eigentümlich heikel und gefährdet sind. Dennoch handelt es sich dabei nicht um einen Teil der Trilogie, sondern um eine in sich geschlossene Erzählung, die im Wesentlichen der Definition der Novelle entspricht. Obwohl einige Ereignisse aus „Alix, Anton und die anderen“ als Zitate eine Rolle für den Hintergrund der Beunruhigung spielen, darunter der Mord in einem vietnamesischen Restaurant, wird die Kenntnis des Buchs nicht vorausgesetzt.
Die Handlung wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, die Gleichzeitigkeit von äußeren und inneren Geschehnissen wird kunstvoll, aber in herkömmlicher Textdarbietung exponiert. Im Vordergrund richtet sich der Blick auf Anton, den in Kreuzberg praktizierenden Allgemeinarzt. Er hatte sich in die übersensible Alix verliebt wie gleichzeitig sein Freund Jan, ihr aber zu dessen Gunsten entsagt. Durch einen Zusammenstoß beim Radfahren lernt Anton Lydia kennen und lieben. Noch bevor er mit ihrer kleinen Tochter Bekanntschaft machen darf, hofft er auf eine gemeinsame Wohnung und Veränderung seines Lebens.
Wie düngt man den Acker des Lebens?
Auf Antons Verheiratung und auf Enkelkinder warten daheim in Calberlah bei Wolfsburg schon lange Antons Eltern Hilde und Wilhelm, aber noch ist es zu früh, ihnen Lydia vorzustellen. Hilde schickt Anton und seinen Freunden jedes Jahr Erdbeermarmelade aus den Früchten, die sie auf ihrem ererbten Acker anbaut. Dieses Jahr aber hat sie vergessen, die Erdbeeren rechtzeitig zu pflanzen. Anton überredet den Bauern Helmer, bereits angegangene Stauden heimlich in Hildes Beet einzusetzen. Gegen dessen gärtnerische Prognose reifen die Früchte, während Anton einsehen muss, dass seine Eltern an schnell fortschreitender Demenz erkrankt sind. Mit „Bangigkeit, mit Schrecken und schlechtem Gewissen“ wird ihm im Anblick seiner Mutter fasslich, wie einem das Leben enteignet werden kann.
Zudem bricht Lydias Vergangenheit ins Geschehen ein. Sie war mit Rüdiger zusammen, der vor dem Leben in der deutschen Provinz in die Fremdenlegion geflüchtet war und sich hernach als Söldner auf den internationalen Schlachtfeldern die Identität gehärtet hatte. Auch in Berlin trägt er noch Camouflagehosen. Die Trennung von Lydia und dem Kind kann er dennoch nicht verwinden. Sie hatte ihn in der Schwangerschaft verlassen, um ihr eigenes, von Verwahrlosung bedrohtes Leben wieder in Ordnung zu bringen. Rüdiger zur Seite steht Martin, sein ehemaliger Pilot, ein kleiner Mann, der unbeauftragt meint, Lydia vor Anton beschützen zu müssen. Überdies wird er auf seltsamen Wegen dessen Mutter zum Spiegel, in dem sie der Versäumnisse ihres Lebens noch einmal ansichtig wird, während ihr Gedächtnis zunehmend versagt.
Die dämonische Seite der Erdbeere
In raffinierter Engführung setzt die Erzählerin die Stimmen und Geschehnisse in Beziehung zueinander. Während die Erdbeeren wachsen, wächst Antons Liebes zu Lydia, wächst die Sorge um die Eltern, wächst die Angst vor einer diffusen Bedrohung, vor der ihn auch die alten Freunde nicht bewahren können. In Katharina Hackers poetischem Realismus werden Befindlichkeiten in der Abbildung auf die sichtbare Welt bis hinein in die Dinge des täglichen Gebrauchs zur sinnlichen Gewissheit. Die Erdbeeren erscheinen schließlich als dämonisch schillernde Symbole der Gleichzeitigkeit allen Werdens und Vergehens, von Hingabe und Vergeblichkeit, von Lust und Liebe, Angst und Trägheit des Herzens.
Auf dem Acker bei Calberlah ist denn auch das Feld bereitet, auf dem alle Personen und Handlungsstränge zusammengeführt werden. Die „unerhörte Begebenheit“ nach Goethes Definition der Novelle aber hat sich als unberechneter Einbruch der Natur in die menschliche Einrichtung bereits ereignet. Unter dem Blattwerk werden nun nur noch die Folgen von Antons mitleidigem Betrugsmanöver sichtbar. Da gehen alle nach Hause und fühlen sich als Besiegte, obwohl ein schlimmes Unglück nicht geschehen ist. Nur Martin, „das bucklicht Männlein“, bleibt noch eine Weile auf dem Acker stehen und bedenkt, dass eine Zeit nun vorüber ist. Nun gilt es, neu zu beginnen.
Die Aufgabe hat erst begonnen
Die Erzählung ist unaufdringlich, aber unverkennbar auch ein Lehrstück über die Liebe als Medium der Wahrnehmung, das eine unzeitgemäße Ernsthaftigkeit nicht scheut. Die Liebe mag kommen wie eine Naturkraft, belebend, beseelend und verändernd oder verfehlt, beängstigend und zerstörerisch. Sie zu läutern, zu bewahren und ihre Früchtchen zu schützen, ihre modernen Gefährdungen auszuhalten, Widersprüche zu ertragen und zu gestalten erscheint als nie endende Aufgabe. Wie und ob die Menschen in Katharina Hackers Romanwerk sie bewältigen, wird den Leser nach dieser meisterlichen und ergreifenden Novelle umso mehr interessieren.
Katharina Hacker: „Die Erdbeeren von Antons Mutter“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 176 S., geb., kr. 158,- inkl. moms
Buchtitel: Die Erdbeeren von Antons Mutter
Buchautor: Hacker, Katharina
Text: F.A.Z.
ny Christa Wolf,
Christa Wolf: Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud
Mein Schutzengel nimmt es mit jedem Raumschiff auf
Gerichtet? Gerettet! Christa Wolf erinnert sich in ihrem autobiographischen Buch an eine tiefe Krise ihres Lebens, aber entdeckt am Rande der westlichen Welt überraschend eine Hoffnung auf Erlösung.
Von Richard Kämmerlings
Wenige Seiten zuvor erinnert sich Christa Wolf an den 4. November 1989, an die Veranstaltung auf dem Alexanderplatz, an ihre Rede, an einen Moment, in dem für sie blitzartig die Utopie eines wahren Sozialismus zu greifen nah war. Der historische Augenblick, in dem die Geschichte märchenhaft, glücklich ausgeht: „Ihn miterlebt zu haben, dachtest du, dafür hatte alles sich gelohnt.“ Nun, knapp drei Jahre später, hat Christa Wolf eine doppelte Kränkung erlebt. Die Bevölkerung der DDR hatte mehrheitlich ganz andere Sehnsüchte, als jene, den wahren Sozialismus endlich verwirklichen zu dürfen. Und Christa Wolf selbst wurde, als Autorin und als Intellektuelle, Gegenstand des sogenannten deutsch-deutschen Literaturstreits. Mit dem Ende des Staats, an den sie bei aller inneren Distanz bis zuletzt festgehalten hatte, verlor sie auch die stets als selbstverständlich hingenommene Rolle als repräsentative Figur – die sie freilich für viele ihrer ostdeutschen Leser bis heute blieb, gerade wegen dieses von nur allzu leicht nachvollziehbaren Erfahrung eines Statusverlusts im wiedervereinigten Deutschland.
Im Hotel „Ms. Victoria“
1992 nun sitzt Christa Wolf in einem schrulligen Hotel mit dem zufällig passenden oder gut ausgedachten Namen „Ms. Victoria“, macht sich ziemlich ess- und trinkfreudig mit der Konsumkultur des siegreichen Kapitalismus vertraut, schließt Freundschaften mit ihren Ko-Stipendiaten sowie einer Reihe deutsch-jüdischer Emigranten und beschäftigt sich auf Einladung der Getty Stiftung mit einem neuen erzählerischen Projekt: Ihre verstorbene Freundin Emma hatte ihr ein Konvolut von Briefen einer gewissen L. vermacht, einer in den dreißiger Jahren nach Kalifornien emigrierten Psychoanalytikerin. Christa Wolf begibt sich auf eine biographische Spurensuche, die an die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen erinnert: Nicht einmal den vollen Namen jener L. kennt sie.
Wie in ihren kanonischen Werken wie „Nachdenken über Christa T.“ oder „Kindheitsmuster“ entzieht sich auch dieses Buch eindeutigen Kategorisierungen. Dass der Verlag es auf der Buchrückseite (und nur da) „Roman“ nennt, ist wohl eine Panne. Christa Wolf mischt Reisebericht, Tagebuch, Erinnerungspassagen, Traumerzählungen und auch eindeutig fiktive Passagen. Auch die Rätselgeschichte der L. rundet sich nicht wirklich, die Gestalt bleibt seltsam unkonturiert (obwohl es eine überraschende Lösung gibt).
Kritik am Kapitalismus
Für den Leser ist das zunächst ziemlich mühsam, zumal man sich neben manchen sehr banalen Alltagsbeobachtungen (die übertriebenen Freundlichkeit der Amerikaner, ihre merkwürdigen Frühstücksgewohnheiten etc.) und der erwartbaren (aber deswegen nicht falschen) Kritik an sozialen Missständen und am exzessiven Konsumfetischismus des Westens auch durch wirklich Ärgerliches beißen muss: Wenn etwa die jungen Amerikaner am Getty-Center erklären, sie müssten das Land verlassen, falls Clinton nicht die Wahl gewinne, die Atmosphäre sei „denunziatorisch“ und man wisse selbst in den Universitäten nicht mehr, mit wem man noch offen sprechen könne: „Davon höre man im Ausland wohl wenig? – In der Tat, sagte ich.“ Es ist schon ein starkes Stück, so eine Parallele zu totalitären Verhältnissen zu suggerieren. So gibt es einige Stellen, bei denen man nicht mehr viel Kredit gewähren will. Und doch, man sollte es tun.
Denn so nach etwa hundert, hundertfünfzig Seiten nimmt diese Prosa langsam Fahrt auf, werden die motivischen Verknüpfungen dichter, der Ton dringlicher und direkter. Die Erzählerin wird nach und nach per Fax über die heftigen und größtenteils vernichtenden Reaktionen auf das Bekanntwerden ihrer „Täterakte“ informiert, die sie bereits vorher eingesehen hatte. Als „IM Margarete“ war sie von 1959 bis 1962 bei der Staatssicherheit geführt worden. Obwohl sie sich angesichts der (verglichen mit dem Umfang ihrer „Opferakte“) kaum ins Gewicht fallenden Fakten einer fortgesetzten Medienkampagne ausgesetzt sieht, stürzt sie fern von Deutschland, „am Rand der Welt“ in eine tiefe Krise, die immer tiefer um eine Frage kreist: „Wie hatte ich das vergessen können? Ich wusste ja, dass man mir das nicht glauben konnte, man warf es mir sogar als mein eigentliches Vergehen vor – Vergehen, was für ein schönes deutsches Wort.“
Dauermonolog im Kopf
Dieser für die Erzählerin selbst rätselhafte Lapsus der Erinnerung ist der heiße, magmaförmige Kern des Buchs. Immer wieder ist von der gastgebenden Institution, unter anderen ja einem großen Archiv, als dem „CENTER“ (in Versalien) die Rede, und unaufhörlich wird das Tun und Treiben der Gegenwart von der Arbeit an der Vergangenheit überlagert, ein Film im Kopf, ein Monolog in Endlosschleife. Christa Wolf ruft sich die Aufbaujahre, ihre Jugend als überzeugte, ja fanatisierte Genossin ins Gedächtnis, eine illegale Tätigkeit als Agitatorin in West-Berlin, die Begegnung mit großen Vorbildern wie Louis Fürnberg, aber auch spätere Zäsuren, allen voran die Tage nach der Biermann-Ausbürgerung, als sie trotz des gewaltigen Drucks an ihrer Unterschrift unter den Protestbrief festhielt.
Der titelgebende Mantel Sigmund Freuds wird zum paradoxen Bild dieser bohrenden Selbstbefragung: Sein Schutz ist nur zu haben um den Preis völliger Entäußerung. Die Krise kulminiert in einer ekstatischen Nacht, in der Christa Wolf nach ein paar Whisky das Klingeln des Telefons ignoriert („Berlin“ steht hier stets für familiäre Bindungen), Freuds Mantel zu sich sprechen hört und dann – singt: „alle Lieder, die ich kannte, und ich kenne viele Lieder mit vielen Strophen“. Die nun folgende Aufzählung aller Volks-, Kinder-, Kampf- und Kirchenlieder ist der Höhepunkt des Buchs, eine Krisis als Wendepunkt und zugleich die im Unterbewussten abgelegte Summe eines ganzen Lebens.
Psychoanalytische Ästhetik
„Stadt der Engel“ folgt, und so kann man es leicht unterschätzen, einer psychoanalytischen Ästhetik: Gerade das Beiläufige, der Witz, der Versprecher, der Traum legen die verschüttete Wahrheit frei. Das Buch enthält auch eine nie ausgesprochene Liebesgeschichte. Der verkrachte Kollege Peter Gutman, der selbst unglücklich in eine Dritte verliebt zu sein behauptet, wird für die Erzählerin zu einem Seelenverwandten, dessen eigenes Scheitern – er verzweifelt über der Biographie eines Philosophen – die Selbstzweifel Christa Wolfs spiegelt und zugleich ins Existentielle aufhebt. Nebenbei ist dieses Umeinanderkreisen und intellektuelle Turteln auch ein leichtfüßiger Ausgleich für die Schwermut und drohende Resignation.
Gutman ist es auch, der das entscheidende Stichwort liefert, den Verweis auf Walter Benjamins Engel der Geschichte, der unaufhaltsam vorwärtsgetrieben wird, auf die Katastrophen der Menschheit zurückblicken muss und nichts heilen kann. (Ein anderes Benjamin-Zitat ist dem Buch als Motto vorangestellt.)
Einbruch des Phantastischen
Doch tritt neben diesen Geschichtspessimismus eine christliche Erlösungshoffnung. Bei einem touristischen Besuch in der „First African Methodist Episcopal Church“ wird die Erzählerin mitgerissen und empfängt sogar die Kommunion. In der Predigt geht es um das Wunder der Sündenvergebung. Nach diesem Ereignis begleitet sie eine Schwarze namens Angelina, ein „Schutzengel“ auf Schritt und Tritt, es gibt sogar eine gemeinsame Flugstunde, als wäre das Raumschiff Enterprise plötzlich in Malibu am Start.
Dieser Umschlag ins Phantastische kommt überraschend, doch so eben so plötzlich müsste auch nach Benjamin der Eintritt des Erlösers in die Geschichte sein. Ein merkwürdiges, ein bemerkenswertes Buch, eine Rettung.
Christa Wolf: "Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud". Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 416 S., geb. kr. 219,- inkl. moms
Buchtitel: Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud
Buchautor: Christa Wolf
fredag den 11. juni 2010
Psychothriller
Sebastian Fitzek
Der Augensammler Psychothriller.
gebunden kr 148,50 inkl. moms
Er spielt das älteste Spiel der Welt: Verstecken. Er spielt es mit deinen Kindern. Er gibt dir 45 Stunden, sie zu finden. Doch deine Suche wird ewig dauern. Erst tötet er die Mutter, dann verschleppt er das Kind und gibt dem Vater 45 Stunden Zeit für die Suche. Das ist seine Methode. Nach Ablauf der Frist stirbt das Opfer in seinem Versteck. Doch damit ist das Grauen nicht vorbei: Den aufgefundenen Kinderleichen fehlt jeweils das linke Auge. Bislang hat der "Augensammler" keine brauchbare Spur hinterlassen. Da meldet sich eine mysteriöse Zeugin: Alina Gregoriev, eine blinde Physiotherapeutin, die behauptet, durch bloße Körperberührungen in die Vergangenheit ihrer Patienten sehen zu können. Und gestern habe sie womöglich den Augensammler behandelt ...
lørdag den 5. juni 2010
fremtidens forlagspolitik
Jo Lendle im Gespräch
„Wir werden weniger Bücher machen!“
Weniger Bücher, dafür mehr Nähe zu den Lesern: Diese Vorsätze sollen den DuMont Buchverlag in Schwung bringen. Wie Jo Lendle Masse durch Klasse ersetzen will, erklärt der neue Verlagsleiter in einem Gespräch mit der F.A.Z.
Unerbittliche Subjektivität: Jo Lendle gibt seinen Lesern nur das, was er will
26. Mai 2010
Vor dreizehn Jahren hat der DuMont Buchverlag sein literarisches Programm gestartet. Seit dieser Zeit bestimmte Jo Lendle das literarische Profil des Kölner Verlags mit, zuletzt als Programmleiter für deutschsprachige Literatur. Jetzt hat der 1968 geborene Lendle, der auch selbst als Autor erfolgreich ist - „Unter Mardern“ (1999), „Die Kosmonautin“ (2008), „Mein letzter Versuch die Welt zu retten“ (2009) -, die Verlegerische Geschäftsführung für das Literatur- und Sachbuchprogramm des DuMont Buchverlags übernommen.
Im April ist der bisherige Verlegerische Geschäftsführer des DuMont Buchverlags, Lutz Wolff (66), auf eigenen Wunsch aus dem Verlag ausgeschieden. Das war insofern überraschend, als er erst ein Jahr zuvor - nach seiner Pensionierung als Lektor beim Deutschen Taschenbuch Verlag - zu DuMont gekommen war und große Pläne mit dem Verlag hatte. Offenbar gab es Unstimmigkeiten bezüglich der Programmausrichtung. Im Frieden geschieden ist man jedenfalls nicht, auch wenn dies nur hinter den Kulissen geäußert wird. Wie es nun weitergeht mit dem Literatur- und dem Sachbuchprogramm von DuMont, wie man sich im Hinblick auf die elektronischen Lesegeräte neu positioniert und wie der Aufstieg zum verlegerischen Geschäftsführer seine eigene Wahrnehmung verändert hat, erzählt Jo Lendle im Interview.
Sie kennen den Verlag, den Sie nun leiten, seit vielen Jahren als Lektor. Wie groß ist die Umstellung? Konnte es sich der Lektor leisten, parteiischer zu sein?
Der Lektor muss sogar parteiischer sein, er ist ein Minister, der für sein Ressort kämpft. Andererseits haben wir bei DuMont die Grenzen zwischen den Lektoraten immer schon recht offen gelassen, da ist der Innenminister nicht weniger stolz auf einen übersetzten Roman, und der Außenminister betreut auch mal einen deutschsprachigen Autor.
Haben Sie in Ihrer neuen Position ein Vorbild? Einen der großen alten Verleger?
Siegfried Unseld bin ich zum ersten Mal als Praktikant auf der Herrentoilette des Suhrkamp Verlags begegnet. Ein vergleichsweise unauratischer Moment. Dennoch gehört er zweifellos zu den Verlegern, denen für ihre Autorenliste Bewunderung gebührt. Das Bild des Verlegers prägen die Monarchen noch heute - auch wenn mir manche große Geste inzwischen nicht mehr notwendig erscheint. Am Ende findet jeder selbst seinen Stil. Ich habe einige Briefwechsel der großen Verlagspatrone gelesen, das betrachtet man jetzt mit anderen, verständnisvolleren Augen.
Und wie ist das mit Suhrkamp heute? Sehen Sie im Umzug nach Berlin Mitte die ersehnte Rückkehr in die Mitte der Intelligenzia?
Bei Suhrkamp erscheint nach wie vor ein erheblicher Teil der wichtigen Gegenwartsliteratur. Das ist es, was am Ende zählt. Es wäre vermessen, zu erwarten, dass es einem Verlag über Generationen hinweg gelingt, das literarische Gespräch zu monopolisieren.
In Berlin wohnen ja auch viele der DuMont-Autoren. Dann vielleicht noch einige in anderen Großstädten, aber kaum einer in Köln. Der Buchverlag bleibt aber fest an seinen Stammsitz gebunden?
Es soll DuMont-Autoren geben, die außerhalb Berlins leben? Überhaupt Schriftsteller in anderen Städten? Davon hätte ich gehört. Manuskripteinsendungen ordnen wir inzwischen nicht mehr nach dem Alphabet, sondern nach Berliner Bezirken, weil von anderswo kaum mehr etwas kommt. Ein Vorteil Berlins sind die unkomplizierten Autorenbesuche: Einfach auf der Kollwitzstraße in die Sonne setzen, und bevor man ausgetrunken hat, sind alle schon vorbeigekommen. Zum Lesen kehrt man dann ganz gerne an den Rhein zurück.
Die Königsfrage: Werden Sie dem Publikum geben, was es will oder was Sie für richtig halten?
Unerbittliche Subjektivität, ohne dass man das gleich Sendungsbewusstsein nennen muss. Aber es bleibt doch festzuhalten: Geliebt wurden nur diejenigen unserer Bücher, an denen wir selber Feuer gefangen hatten. Wann immer wir einmal mit einem Buch auf ein imaginiertes Publikum schielten, sind wir am Ende drauf sitzengeblieben.
Ihr Kurzzeit-Vorgänger hat bei seiner Amtseinführung eine neue Taschenbuchreihe angekündigt. Haben Sie ebenfalls ein neues Projekt im Sinn oder eine Kurskorrektur vor?
Wenn ich hier alles neu erfinden müsste, hätte ich in den vergangenen Jahren schlecht gearbeitet. Was bereits feststeht: Wir werden weniger Bücher machen, und wir werden bei jedem einzelnen überlegen, wie es zu seinen Lesern findet. Das sind die beiden edelsten Aufgaben eines Verlags: Auswahl und Begleitung. Was die programmatischen Korrekturen angeht: Zuletzt wurden auch Bücher eingekauft, die recht pur auf Unterhaltendes setzen. Das erwartet hier keiner, davon verstehen andere mehr. Jedes Buch muss Besonderheiten haben, Eigenwilligkeiten, sonst müssen wir es nicht machen. Im Sachbuch werden wir weniger Lebenserinnerungen bringen, das mag am gesunkenen Durchschnittsalter im Verlag liegen. Letztlich aber helfen allgemeine Absichtserklärungen in der Literatur ohnehin nicht weiter, da erkennt man die Handschrift am einzelnen Buch.
Gegen die Routine also...
Das Schöne an der Kunst ist ja ohnehin: Routine geht unter. Ich hege große Sympathien für den Namen der langjährigen mexikanischen Regierungspartei: Institutionalisierte Revolution. Wer sich im Buchgeschäft nicht halbjährlich neu erfindet, verliert. Das macht die Sache unberechenbar, aber aufregend. Das vor wenigen Wochen gestartete Taschenbuch schenkt uns zumindest einen Bodensatz an Planbarkeit.
Die Taschenbuch-Idee führen Sie weiter? Wird nach und nach die Backlist im Taschenbuch neu erscheinen?
Mit unserem Taschenbuch werden wir die eigenen Titel tatsächlich vermehrt im Haus halten. Hinzu kommen Originalausgaben und einzelne zugekaufte Lizenzen. Das ist ein spannendes Spielfeld und lädt ein zu allerlei Neuerfindungen - im Herbst erscheint etwa Haruki Murakamis „Schlaf“, dessen nachtblau-silberne Illustrationen so schön sind, dass wir auch das Taschenbuch durchgehend zweifarbig drucken.
Trennen sich im DuMont Buchverlag die Sparten Literatur/Sachbuch und Kunst wieder stärker?
Die Entscheidung, das Kunstprogramm in die Hände eines eigenen Verlegers zu legen, ist sicherlich der Einsicht geschuldet, dass illustrierte Bücher ein völlig anderes Denken erfordern, vom Finden, Kalkulieren und Produzieren der Bücher bis zu ihrem Verkauf. In den letzten Jahren kamen die Verleger von der Literatur, das hat der Kunstsparte nicht immer geholfen.
Wird der Anteil deutschsprachiger Literatur bei DuMont abnehmen, gleich bleiben oder zunehmen gegenüber den Übersetzungen?
Ach, die deutschsprachigen Autoren liegen mir schon besonders am Herzen, nicht nur, weil ich von Anfang an in erster Linie für diese Bücher zuständig war. Das sind einmalige Beziehungen, diese Autoren prägen den Verlag ganz wesentlich. In reinen Zahlen aber wird das Verhältnis zu den Übersetzungen einigermaßen stabil bleiben - auch wenn das Verlegen übersetzter Titel im Zuge der aktuellen Rechtsprechung ein erhebliches Risiko birgt.
Sollte die deutschsprachige Gegenwartsliteratur Ihrer Meinung nach stärker protegiert werden von Verlagen im deutschsprachigen Raum? Schließlich geht es um den eigenen Nachwuchs.
Protektion klingt so nach Käfighaltung. Sicherlich hat auch jeder Sportverein eine Verantwortung für die eigene E-Jugend, aber deshalb sollten die Ansprüche nicht sinken. Das Entdecken eines noch ungedruckten Manuskripts beschert zweifellos das intensivste Glücksgefühl, das unsere Branche zu geben hat. Seit wir hier vor zwölf Jahren mit der Literatur begonnen haben, legen wir besonderen Wert auf deutschsprachige Debüts - ob das nun John von Düffel oder Tilman Rammstedt waren, deren erste Bücher hier erschienen. Solche Entdeckungen verspreche ich auch weiterhin.
Was ist in diesem Zusammenhang von dem Versuch der beiden deutschen Literaturlehranstalten in Leipzig und Hildesheim zu halten? Ein gewisser Konformismus fällt ja auf, eine Beschreibungsintensität ohne allzu tiefe Grundlage.
Wirklich konformistisch und von keiner Empirie gedeckt ist in erster Linie doch das Institutsbashing selbst. Wer die Bücher der Absolventen tatsächlich liest, fragt sich schon, ob da nicht einfach ein genereller Trend der letzten Jahre falsch zugeordnet wurde. Was haben Autoren wie Stanišic, Pletzinger, Brodowsky, Klupp, Hefter, Roßbacher, Randt mit Konformismus zu tun? Ich komme gerade von einem Seminar am Schweizerischen Literaturinstitut zurück, die schreiben Lyrik und Kürzestprosa. Ein Schielen nach dem Markt jedenfalls erkenne ich da nicht. Und den Wunsch nach Kriegsreportagen kann ich einfach nicht mehr hören.
Wie werden Sie mit dem E-Book/Ipad-Book umgehen? Bislang hat sich ja auch DuMont wie viele mittlere Verlage nicht gerade auf dieses Marktsegment gestürzt.
Das tun wir jetzt. Wir haben immer ein besonderes Vergnügen daran gehabt, schöne Bücher zu gestalten, und werden das auch weiterhin tun. Aber es spricht nichts dagegen, aus praktischen Erwägungen beide Leseweisen parallel anzubieten. Auf dem Weg in die Schweiz habe ich ein halbes Dutzend Manuskripte gelesen, daran hätte ich ohne E-Book schwer zu tragen gehabt.
Zu welchen Konditionen? Gleich teuer wie die gedruckte Ausgabe? Haben Sie keine Angst vor den Tauschbörsen?
Die Preisfindung für E-Books beschäftigt die Verlage weltweit. Im Augenblick gehen wir davon aus, dass sich hierzulande ein Downloadpreis einpendelt, der zehn bis zwanzig Prozent unter dem Preis der Buchausgabe liegt. Und natürlich versuchen wir, möglichst wenige Fehler der Musikindustrie zu wiederholen. Die Musikindustrie allerdings lächelt über dieses Ansinnen.
Was ist leichter, was schwieriger daran, einen Buchverlag zu leiten, der zu einem großen Medien-/Zeitungskonzern gehört?
Seit der Gründung des Buchverlags vor mehr als fünfzig Jahren hat das Mutterhaus es immer wieder ermöglicht, außergewöhnliche Bücher zu machen, die etwas bewegt haben. Das ist eine Rückendeckung, die ausgesprochen hilfreich ist. Darüber hinaus nutzen wir verstärkt auch die alltäglichen Vorteile, im Sachbuch erscheinen Bücher, die von Journalisten der Zeitungsgruppe geschrieben wurden, wir machen gemeinsame Veranstaltungen und vieles mehr. Das Feuilleton selbst ist unabhängig genug, es nicht zu Verwechslungen kommen zu lassen.
Vor einiger Zeit hat das Mutterhaus dem Buchverlag auch finanziell unter die Arme gegriffen. Ist das zurzeit auch nötig? Wie stark ist die Wirtschaftskrise im Verlag zu spüren? Ist noch etwas vom „Feuchtgebiete“-Polster, dem Bestseller Charlotte Roches, übrig?
Auch die Buchbranche spürt die Wirtschaftskrise - obwohl man sich von kaum einem anderen Medium so günstig gewinnbringend anregen und unterhalten lassen kann wie von einem Buch. Jedenfalls ist es auch in Zeiten, in denen man durch Einzelerfolge besser dasteht, ein gutes Gefühl, jemanden hinter sich zu wissen.
Sie haben es im F.A.Z.-Expertinnen-Ranking zum zweitschönsten Lektor Deutschlands gebracht. Bei der Wahl zum schönsten Verleger gibt es aber keine ernstzunehmende Konkurrenz, oder?
Darüber schweige ich mit Wallace Stevens: „Beauty is momentary in the mind.“ Für einen richtigen Verlegerdarsteller fehlen mir ohnehin noch die Ärmelschoner.
Die Fragen stellte Oliver Jungen
onsdag den 2. juni 2010
alperepublikkens levebrød
Was vom Swiss Banking übrig bleibt. 2. Auflage.
gebunden kr. 218,- inkl. moms
mandag den 31. maj 2010
sidste ny bog før afskeden
gebunden kr. 175,- inkl. moms
målmanden
Jens Lehmann, Christof Siemes
Der Wahnsinn liegt auf dem Platz
gebunden kr. 148,50
852 Minuten ohne Gegentor - Champions League-RekordJens Lehmann schreibt über seine Karriere in der Bundesliga, in der Nationalmannschaft und im internationalen Spitzenfußball. Über seine Erfahrungen, Desaster, Siege und Triumphe. Über seine Clubs, Mitspieler und Trainer, über Erfolgsstrategien im Spitzensport.Zweimal wird er zum besten Torwart Europas gewählt. Er ist deutscher und englischer Meister, Vize-Europameister und hat den UEFA-Pokal gewonnen. In einer Champions-League-Saison bleibt er sagenhafte 852 Minuten ohne Gegentor. Jens Lehmann ist einer der erfolgreichsten Torhüter der letzten Jahrzehnte - und einer der eigenwilligsten. Nie ist er den einfachsten oder naheliegendsten Weg gegangen, immer hat er Herausforderungen gesucht, die nicht nur den Fußballer, sondern den Menschen Jens Lehmann fordern und weiterbringen, weit über den Fußballplatz hinaus. Nun zieht dieser außergewöhnliche Sportler Bilanz und schreibt über seine Karriere in der Bundesliga, der Nationalmannschaft, in der italienischen Seria A und der englischen Premier League. Offen, vorbehaltlos und mit dem ihm eigenen trockenen Humor erzählt Jens Lehmann nicht nur von seinen großen Erfolgen, sondern auch von prägenden Niederlagen und den Sackgassen, in die ihn bisweilen seine Risikofreude und das Festhalten an seinen Überzeugungen geführt haben. Er lässt die Stationen einer Karriere Revue passieren, die ihn von Schalke über Dortmund nach Mailand, London und schließlich nach Stuttgart führt. Er schreibt über das Innenleben europäischer Großklubs, über seine Mitspieler, Trainer und Rivalen wie Oliver Kahn, den er mit tollen Leistungen und Beharrlichkeit aus dem Tor der Nationalmannschaft verdrängt. Bei der WM 2006 wird Jens Lehmann zu einem der Helden des Sommermärchens; in seinem Buch erläutert er das Geheimnis dieser Mannschaft ebenso wie seine legendäre Zettelwirtschaft aus dem historischen Elfmeterschießen gegen Argentinien.
Unser Lena
FSK ohne Altersbeschränkung. Sprachen: Deutsch Englisch.
Audio-CD kr. 131,50 inkl. moms
tirsdag den 25. maj 2010
også stater kan gå konkurs....
Warum Länder pleite gehen - Wie es dazu kommt - Weshalb uns das was angeht.
gebunden kr. 218,- inkl. moms
fredag den 21. maj 2010
Dummheit mit System
Ist es tatsächlich die Gier der Spekulanten, über die wir uns Sorgen machen müssen? Der amerikanische Autor Michael Lewis erzählt noch einmal die Geschichte der Finanzkrise - und lässt uns eher fassungslos als wütend zurück.
Von Harald Staun
Wer Illusion und Blendung haben will, ist nicht falsch im "Venetian"-Hotel in Las Vegas - im Januar 2007 traf sich hier die Subprime-Branche
09. Mai 2010
Der Mann macht alles immer nur noch schlimmer. Schon einmal, vor zwanzig Jahren, hatte Michael Lewis versucht, mit der Wall Street abzurechnen. Er hatte, mit viel Glück und wenig Ahnung, Mitte der 1980er Jahre einen Job bei der Investmentbank Salomon Brothers bekommen, wo er viel Geld verdiente, indem er mit noch mehr Geld anderer Leute spekulierte. Nach drei Jahren stieg er aus. Er fürchtete, der Schwindel könnte irgendwann auffliegen; aber vor allem fürchtete er, der Schwindel könnte nie auffliegen: sein kleiner - und der große, den er nicht fassen konnte.
In seinem Buch „Liar's Poker“ hat Lewis 1989 die atemberaubenden Zustände an der Wall Street beschrieben, die Arroganz der Manager und ihre Ignoranz, die Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit, mit der ein paar gerade der Pubertät entwachsene Männer mit dem ökonomischen Schicksal des Landes Roulette spielten. Er wollte zeigen, „wie eine große Nation ihren finanziellen Verstand verloren hatte“. Das Buch wurde ein Bestseller, nicht nur, weil Lewis' Insider-Bericht das Publikum schockierte. Die neugierigsten Leserbriefe kamen von jungen Studenten, die fragten, ob Lewis ihnen noch ein paar weitere Geheimnisse verraten könnte. Sie hatten das Buch als Gebrauchsanweisung gelesen. Wenn Lewis irgendeine Art von Aufklärung beabsichtigt hatte, war ihre Dialektik verheerend.
Dass Lewis jetzt erneut ein Buch über die Wall Street vorlegt, über die mysteriösen Geschäfte auf dem amerikanischen Hypothekenmarkt, deren Folgen mittlerweile ja hinreichend bekannt sind, ist also gewissermaßen auch eine Drohung: Wäre ja möglich, dass auch die aktuellen Tricks der Derivate-Händler nicht nur besorgte Leser finden, sondern auch faszinierte Nachahmer.
In „The Big Short“ erzählt Lewis die Geschichte der Subprime-Krise, indem er sich mit deren interessantesten Protagonisten beschäftigt, mit jenen Spekulanten, die ihre Kritik an der Immobilienblase auf ganz besonders lukrative Weise ausdrückten: indem sie auf deren Zusammenbruch wetteten.
Die Vorstellung, dass auch deren Methoden Schule machen, ist nicht ganz abwegig. Da hilft es auch nichts, dass es auf dem Immobilienmarkt nicht mehr allzu viel kaputtzuspekulieren gibt: Vor allem der Einsatz von Kreditausfallversicherungen, jenen Derivaten, die Waren Buffet als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ beschrieben hat, erfreut sich derzeit größter Beliebtheit. Nur dass es eben keine privaten Häuser mehr sind, auf deren Schicksal damit gewettet wird, sondern staatliche Haushalte.
So gesehen wird es höchste Zeit, dass Michael Lewis aufhört, Bücher zu schreiben.
Es ist nur dummerweise gar nicht so einfach, die Gewinner von den Verlierern zu unterscheiden, die guten Banker von den bösen, oder die vernünftigen von den wahnsinnigen. In Lewis' Buch jedenfalls zerfällt jede moralische Gewissheit schon nach wenigen Seiten, schon alleine deshalb ist es so gut. Das liegt zum einen an seinen ungewöhnlichen Protagonisten, die das Klischee vom gierigen Spekulanten so gar nicht erfüllen; zum anderen liegt es aber, wenn man so will, an ihren Gegnern, an all jenen Akteuren des Finanzmarkts also, die auch nicht unbedingt ihr großes Herz dazu getrieben hat, die Schrottpapiere zu erfinden, von deren Untergang die Short-Seller am Ende profitierten. Das ist halt das Problem am Populismus, der sich aufs Ressentiment gegen das Spekulantentum verlässt: Die Motive der Verlierer sind meistens auch nicht unbedingt altruistisch. Die Gier der Banker ist in diesem Spiel eher eine Konstante und schon deshalb kein besonders aussagekräftiger Indikator.
Gewinner oder Verlierer?
Es ist also nicht nur der Sympathie des Autors für seine Hauptfiguren zu verdanken, dass man ihnen als Leser gar keine besondere Verkommenheit attestieren möchte; es liegt vor allem an der irrsinnigen Eigenlogik des Finanzsystems, welcher man mit moralischen Kategorien gar nicht mehr zu Leibe rücken kann. Paradoxerweise waren nämlich ausgerechnet jene komplizierten Investmentkonstruktionen, die Derivate also, mit welchen Lewis' unverbesserliche Pessimisten gegen den Boom setzten, so ziemlich das, was in der Welt des synthetischen Phantasiekapitalismus noch am ehesten als gesunder Menschenverstand durchgehen kann. Verrückt war nur, daran auch tapfer festzuhalten. Zu jener Zeit nämlich, als Steve Eisman und Mike Burry, Charlie Ledley und Jamie Mai begannen, dem Hype um den Handel mit Subprime-Krediten zu misstrauen, interessierte sich niemand in der Investmentbranche für ihre düsteren Prognosen. Nicht einmal der Markt selbst: Zwar war es längst möglich, mit sogenannten Leerverkäufen gegen Aktien zu wetten, nicht aber gegen jene fragwürdigen Wertpapiere, zu welchen amerikanische Baufinanzierer wie Fannie Mae und Freddie Mac ihre Subprime-Kredite zusammengezimmert hatten.
Als Burry, ein relativ unbedeutender Hedge-Fonds-Manager aus Kalifornien, 2005 die großen Banken abtelefonierte, auf der Suche nach Verkäufern von sogenannten Credit Default Swaps (CDS) auf Subprime-Papiere, von Kreditausfallversicherungen auf jene „Securities“ also, von denen er sicher war, dass sie in spätestens zwei Jahren ihre Unsicherheit beweisen würden, wollten nur zwei Banken überhaupt mit ihm reden: Goldman Sachs und die Deutsche Bank. Die anderen scheuten nicht etwa das Risiko; sie hatten einfach keine Ahnung, was Burry überhaupt wollte. Gegen alles konnte man an der Wall Street wetten; nur nicht dagegen, dass mittellose Bauherren, welchen man einen Millionenkredit aufgeschwatzt hatte, jemals ihr Geld zurückzahlen können: So viel Realismus war einfach nicht vorgesehen.
Das aber ist erst der Anfang: Man kommt in „The Big Short“ aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr raus, und am Ende ist vor lauter struktureller Dummheit und gedankenloser Automatismen gar kein Platz mehr, um irgendwem persönlich menschliche Mängel wie Gier und Habsucht zu unterstellen. Und natürlich schadet es diesem Effekt nicht, dass es sich bei Lewis' sonderbaren Wettkönigen um sehr spezielle Persönlichkeiten handelt.
Die gespenstische Banalität ihres Genies
Am auffälligsten ist sicher Michael Burry, ein ehemaliger Neurologe mit Glasauge und Asperger-Syndrom und einem aus seiner Krankheit resultierenden Talent, Muster zu erkennen, die andere nicht sehen. Aber auch der Analyst Steve Eisman, dessen radikale Angewohnheit, anderen undiplomatisch seine Meinung ins Gesicht zu sagen, nicht unbedingt zu den Einstellungsmerkmalen für einen Investmentbanker gehört, geht gut als Dissident durch. Bei Charlie Ledley und Jamie Mai dagegen, den beiden etwas slackerhaften Partnern des „Garage Band Hedge Fonds“ Cornwall Capital, schien ein grundsätzlicher Defätismus schon die einzige Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere als Spekulant zu sein; sie hatten Probleme, überhaupt an den Vorzimmerdamen der Bankmanager vorbeizukommen, mit denen sie Geschäfte machen wollten.
Das Interessante an all den sturen Außenseitern, die uns Lewis vorstellt, ist die Perspektivverschiebung, zu der es kommt, wenn man die Welt durch ihre Augen sieht; sie sind das Kind, das schon immer den Kaiser ohne Kleider gesehen hat. Wenn Lewis nun davon erzählt, wie sie vergeblich auf dessen Nacktheit insistierten, ist das nicht einfach eine Parabel über die Macht der herrschenden Meinung. Es ist die wahnwitzige Immunität dieses sich selbst vorantreibenden Systems gegen jede Art von Vernunft, die dieses Buch so eindrucksvoll illustriert.
Im Blick auf die Dissidenten zeigt sich nämlich vor allem die gespenstische Banalität ihres Genies: Es bestand, zum Beispiel, darin, sich die Kreditwürdigkeit der Darlehensnehmer ein wenig genauer anzuschauen; es bestand in der Einsicht, dass sich ein mexikanischer Erdbeerpflücker mit einem Jahreseinkommen von 15.000 Dollar womöglich ein wenig schwertun könnte, die 750.000 Dollar zurückzuzahlen, die er sich für den Kauf einer Villa geliehen hatte; und es bestand darin, in einer auf Illusionen basierenden Welt auf das elementarste Gesetz der Physik zu vertrauen: Dinge fallen von oben nach unten.
Blind oder kriminell?
Im Prinzip hat Lewis einen Detektivroman geschrieben: Das macht sein Buch so spannend. Erstaunlich ist nur, wie lange die Täuschungsmanöver funktionierten, welche den Blick auf die Zusammenhänge verschleierten, die am Ende doch so offensichtlich sind. Die kriminelle Energie, die man benötigt, um toxische Kredite zu Wertpapieren zu bündeln, in Tranchen zu schneiden und anschließend mit dem Gütesiegel AAA zu verkaufen, wäre ja noch einigermaßen nachvollziehbar. Aber offensichtlich interessierten sich nicht einmal die Banken, die sie handelten, geschweige denn die Investoren, die sie kauften, dafür, womit sie es eigentlich zu tun hatten.
Irgendwann, als es längst üblich geworden war, mit Credit Default Swaps gegen den Hypothekenmarkt zu wetten, und langsam auch die Kurse für die Giftpapiere fielen, begannen auch Eisman und seine Partner an ihrem Verstand zu zweifeln. Denn immer noch fanden sie Investoren, die sich auf ihr Spiel einließen. Doch wenn sie wissen wollten, was das für Leute waren, die die andere Seite der Wette hielten, bekamen sie von ihrem Händler bei der Deutschen Bank die Antwort: „Düsseldorf. Dumme Deutsche. Die nehmen die Ratingagenturen ernst. Die glauben an die Regeln.“
Diejenigen, die die Risiken kannten, versteckten die giftigen Anteile ihrer Wertpapiere vor sich selbst, wie Alkoholiker auf Entzug. Die Kreativität, die sie dabei bewiesen, ist fast schon bewundernswert: Mit unverständlichen Akronymen wurden marode Kredite zu Geheimtipps umgedichtet, aus „subprime“ wurde „midprime“: „ein Triumph der Sprache über die Wahrheit“, nennt das Lewis. Der Markt glaubte seinen eigenen Lügen - oder zumindest daran, dass sie keine mehr sind, wenn nur genügend Leute an sie glauben. Die meisten aber hatten einfach keine Ahnung. Burry, der sich die Mühe machte, die Broschüren für die Schrottpapiere auch zu lesen, ist sich sicher, dass er damit ziemlich allein war: „Nur jemand mit Asperger-Syndrom kommt auf die Idee, Prospekte von Subprime-Pfandbriefen zu lesen.“
Im Januar 2007 traf sich die Subprime-Branche in Las Vegas. Kein Ort hätte besser zu dieser Konferenz gepasst als das synthetische Hotel „The Venetian“, eine gigantische Simulation, deren vorrangiger Zweck es ist, die Realität zu leugnen. Auch Eisman und seine Partner waren dort, vor allem, um sich persönlich von der kollektiven Verblendung der Branche zu überzeugen. Noch immer war ihr Verdacht nicht ganz ausgeräumt, es gäbe einen Haken an ihren Geschäften, den sie übersehen hatten. Doch als sie miterlebten, wie sich die sorglosen Manager weiterhin gegenseitig ihres Optimismus versicherten, hatten sie nur noch eine Frage: Sind diese Menschen einfach nur blind? Oder doch eher kriminell?
Als der Finanzmarkt in Stücke fiel, da fehlten den Beobachtern die Worte: Ein Wahnsinn, das war das Einzige, was ihnen dazu einfiel. Der Crash aber, er war nur ein kurzer Moment der Vernunft: Wahnsinn war alles, was davor passierte.
Michael Lewis: „The Big Short. Inside the Doomsday Machine“. W. W. Norton & Company, 266 Seiten, ca. kr. 150,- inkl. moms
onsdag den 19. maj 2010
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Der ganz normale Wahnsinn - in Kurzform "Wenn Sie mein Buch gelesen haben, dürfen Sie definitiv mit jedem Verrückten reden, schlimmstenfalls auch mit sich selbst." Manfred Lütz Bestsellerautor Manfred Lütz führt uns in die außergewöhnliche Welt der rührenden Demenzkranken, hochsensiblen Schizophrenen, erschütternd Depressiven, mitreißend Manischen und dünnhäutigen Süchtigen. Er holt die psychisch Kranken gleichsam aus dem professionellen Ghetto. Seine These: »Um die Normalen zu verstehen, muss man erst die Verrückten studiert haben.« Sein Ziel: Auf 208 Seiten die ganze Psychiatrie und Psychotherapie allgemeinverständlich, humorvoll und auf dem heutigen Stand der Wissenschaft darzustellen. Unmöglich? Nicht, wenn der Autor Manfred Lütz heißt. Seine »Gebrauchsanweisung für außergewöhnliche Menschen und die, die es werden wollen« ist ein Muss für alle, die sich für die Merkwürdigkeiten der menschlichen Seele interessieren. - Ein kabarettistisches Meisterstück: launig-satirisch und informativ-verständlich - Aufklärung über wahnsinnig Normale und ganz normale Wahnsinnige - Den Merkwürdigkeiten der menschlichen Seele auf der Spur - Für einen veränderten Umgang mit unseren Mitmenschen - Mit einem Vorwort von Eckart von Hirschhausen
Jetzt reinlesen: Gratis-Leseprobe (pdf)
Schließlich hat laut Lütz "jeder Mensch so seine Auffälligkeiten". Wohl wahr. Dass der Mann uns den Spiegel vorhält, ist nicht meschugge, sondern löblich. Martin Hohnecker
Dr. Manfred Lütz, geb. 1954, Psychiater, Psychotherapeut, Chefarzt des Alexianer-Krankenhauses in Köln, Theologe und Bestseller-Autor. In seinen Büchern befasst er sich aus der Sicht eines Psychotherapeuten satirisch und humorvoll mit Gesundheitsthemen wie auch mit religiösen Fragestellungen. Seine letzte erfolgreiche Veröffentlichung war "Gott. Eine kleine Geschichte des Größten".
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lørdag den 15. maj 2010
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