lørdag den 5. juni 2010

fremtidens forlagspolitik




Jo Lendle im Gespräch
„Wir werden weniger Bücher machen!“



Weniger Bücher, dafür mehr Nähe zu den Lesern: Diese Vorsätze sollen den DuMont Buchverlag in Schwung bringen. Wie Jo Lendle Masse durch Klasse ersetzen will, erklärt der neue Verlagsleiter in einem Gespräch mit der F.A.Z.

Unerbittliche Subjektivität: Jo Lendle gibt seinen Lesern nur das, was er will
26. Mai 2010
Vor dreizehn Jahren hat der DuMont Buchverlag sein literarisches Programm gestartet. Seit dieser Zeit bestimmte Jo Lendle das literarische Profil des Kölner Verlags mit, zuletzt als Programmleiter für deutschsprachige Literatur. Jetzt hat der 1968 geborene Lendle, der auch selbst als Autor erfolgreich ist - „Unter Mardern“ (1999), „Die Kosmonautin“ (2008), „Mein letzter Versuch die Welt zu retten“ (2009) -, die Verlegerische Geschäftsführung für das Literatur- und Sachbuchprogramm des DuMont Buchverlags übernommen.
Im April ist der bisherige Verlegerische Geschäftsführer des DuMont Buchverlags, Lutz Wolff (66), auf eigenen Wunsch aus dem Verlag ausgeschieden. Das war insofern überraschend, als er erst ein Jahr zuvor - nach seiner Pensionierung als Lektor beim Deutschen Taschenbuch Verlag - zu DuMont gekommen war und große Pläne mit dem Verlag hatte. Offenbar gab es Unstimmigkeiten bezüglich der Programmausrichtung. Im Frieden geschieden ist man jedenfalls nicht, auch wenn dies nur hinter den Kulissen geäußert wird. Wie es nun weitergeht mit dem Literatur- und dem Sachbuchprogramm von DuMont, wie man sich im Hinblick auf die elektronischen Lesegeräte neu positioniert und wie der Aufstieg zum verlegerischen Geschäftsführer seine eigene Wahrnehmung verändert hat, erzählt Jo Lendle im Interview.

Sie kennen den Verlag, den Sie nun leiten, seit vielen Jahren als Lektor. Wie groß ist die Umstellung? Konnte es sich der Lektor leisten, parteiischer zu sein?
Der Lektor muss sogar parteiischer sein, er ist ein Minister, der für sein Ressort kämpft. Andererseits haben wir bei DuMont die Grenzen zwischen den Lektoraten immer schon recht offen gelassen, da ist der Innenminister nicht weniger stolz auf einen übersetzten Roman, und der Außenminister betreut auch mal einen deutschsprachigen Autor.
Haben Sie in Ihrer neuen Position ein Vorbild? Einen der großen alten Verleger?
Siegfried Unseld bin ich zum ersten Mal als Praktikant auf der Herrentoilette des Suhrkamp Verlags begegnet. Ein vergleichsweise unauratischer Moment. Dennoch gehört er zweifellos zu den Verlegern, denen für ihre Autorenliste Bewunderung gebührt. Das Bild des Verlegers prägen die Monarchen noch heute - auch wenn mir manche große Geste inzwischen nicht mehr notwendig erscheint. Am Ende findet jeder selbst seinen Stil. Ich habe einige Briefwechsel der großen Verlagspatrone gelesen, das betrachtet man jetzt mit anderen, verständnisvolleren Augen.
Und wie ist das mit Suhrkamp heute? Sehen Sie im Umzug nach Berlin Mitte die ersehnte Rückkehr in die Mitte der Intelligenzia?
Bei Suhrkamp erscheint nach wie vor ein erheblicher Teil der wichtigen Gegenwartsliteratur. Das ist es, was am Ende zählt. Es wäre vermessen, zu erwarten, dass es einem Verlag über Generationen hinweg gelingt, das literarische Gespräch zu monopolisieren.
In Berlin wohnen ja auch viele der DuMont-Autoren. Dann vielleicht noch einige in anderen Großstädten, aber kaum einer in Köln. Der Buchverlag bleibt aber fest an seinen Stammsitz gebunden?
Es soll DuMont-Autoren geben, die außerhalb Berlins leben? Überhaupt Schriftsteller in anderen Städten? Davon hätte ich gehört. Manuskripteinsendungen ordnen wir inzwischen nicht mehr nach dem Alphabet, sondern nach Berliner Bezirken, weil von anderswo kaum mehr etwas kommt. Ein Vorteil Berlins sind die unkomplizierten Autorenbesuche: Einfach auf der Kollwitzstraße in die Sonne setzen, und bevor man ausgetrunken hat, sind alle schon vorbeigekommen. Zum Lesen kehrt man dann ganz gerne an den Rhein zurück.
Die Königsfrage: Werden Sie dem Publikum geben, was es will oder was Sie für richtig halten?
Unerbittliche Subjektivität, ohne dass man das gleich Sendungsbewusstsein nennen muss. Aber es bleibt doch festzuhalten: Geliebt wurden nur diejenigen unserer Bücher, an denen wir selber Feuer gefangen hatten. Wann immer wir einmal mit einem Buch auf ein imaginiertes Publikum schielten, sind wir am Ende drauf sitzengeblieben.
Ihr Kurzzeit-Vorgänger hat bei seiner Amtseinführung eine neue Taschenbuchreihe angekündigt. Haben Sie ebenfalls ein neues Projekt im Sinn oder eine Kurskorrektur vor?
Wenn ich hier alles neu erfinden müsste, hätte ich in den vergangenen Jahren schlecht gearbeitet. Was bereits feststeht: Wir werden weniger Bücher machen, und wir werden bei jedem einzelnen überlegen, wie es zu seinen Lesern findet. Das sind die beiden edelsten Aufgaben eines Verlags: Auswahl und Begleitung. Was die programmatischen Korrekturen angeht: Zuletzt wurden auch Bücher eingekauft, die recht pur auf Unterhaltendes setzen. Das erwartet hier keiner, davon verstehen andere mehr. Jedes Buch muss Besonderheiten haben, Eigenwilligkeiten, sonst müssen wir es nicht machen. Im Sachbuch werden wir weniger Lebenserinnerungen bringen, das mag am gesunkenen Durchschnittsalter im Verlag liegen. Letztlich aber helfen allgemeine Absichtserklärungen in der Literatur ohnehin nicht weiter, da erkennt man die Handschrift am einzelnen Buch.
Gegen die Routine also...
Das Schöne an der Kunst ist ja ohnehin: Routine geht unter. Ich hege große Sympathien für den Namen der langjährigen mexikanischen Regierungspartei: Institutionalisierte Revolution. Wer sich im Buchgeschäft nicht halbjährlich neu erfindet, verliert. Das macht die Sache unberechenbar, aber aufregend. Das vor wenigen Wochen gestartete Taschenbuch schenkt uns zumindest einen Bodensatz an Planbarkeit.
Die Taschenbuch-Idee führen Sie weiter? Wird nach und nach die Backlist im Taschenbuch neu erscheinen?
Mit unserem Taschenbuch werden wir die eigenen Titel tatsächlich vermehrt im Haus halten. Hinzu kommen Originalausgaben und einzelne zugekaufte Lizenzen. Das ist ein spannendes Spielfeld und lädt ein zu allerlei Neuerfindungen - im Herbst erscheint etwa Haruki Murakamis „Schlaf“, dessen nachtblau-silberne Illustrationen so schön sind, dass wir auch das Taschenbuch durchgehend zweifarbig drucken.
Trennen sich im DuMont Buchverlag die Sparten Literatur/Sachbuch und Kunst wieder stärker?
Die Entscheidung, das Kunstprogramm in die Hände eines eigenen Verlegers zu legen, ist sicherlich der Einsicht geschuldet, dass illustrierte Bücher ein völlig anderes Denken erfordern, vom Finden, Kalkulieren und Produzieren der Bücher bis zu ihrem Verkauf. In den letzten Jahren kamen die Verleger von der Literatur, das hat der Kunstsparte nicht immer geholfen.
Wird der Anteil deutschsprachiger Literatur bei DuMont abnehmen, gleich bleiben oder zunehmen gegenüber den Übersetzungen?
Ach, die deutschsprachigen Autoren liegen mir schon besonders am Herzen, nicht nur, weil ich von Anfang an in erster Linie für diese Bücher zuständig war. Das sind einmalige Beziehungen, diese Autoren prägen den Verlag ganz wesentlich. In reinen Zahlen aber wird das Verhältnis zu den Übersetzungen einigermaßen stabil bleiben - auch wenn das Verlegen übersetzter Titel im Zuge der aktuellen Rechtsprechung ein erhebliches Risiko birgt.
Sollte die deutschsprachige Gegenwartsliteratur Ihrer Meinung nach stärker protegiert werden von Verlagen im deutschsprachigen Raum? Schließlich geht es um den eigenen Nachwuchs.
Protektion klingt so nach Käfighaltung. Sicherlich hat auch jeder Sportverein eine Verantwortung für die eigene E-Jugend, aber deshalb sollten die Ansprüche nicht sinken. Das Entdecken eines noch ungedruckten Manuskripts beschert zweifellos das intensivste Glücksgefühl, das unsere Branche zu geben hat. Seit wir hier vor zwölf Jahren mit der Literatur begonnen haben, legen wir besonderen Wert auf deutschsprachige Debüts - ob das nun John von Düffel oder Tilman Rammstedt waren, deren erste Bücher hier erschienen. Solche Entdeckungen verspreche ich auch weiterhin.
Was ist in diesem Zusammenhang von dem Versuch der beiden deutschen Literaturlehranstalten in Leipzig und Hildesheim zu halten? Ein gewisser Konformismus fällt ja auf, eine Beschreibungsintensität ohne allzu tiefe Grundlage.
Wirklich konformistisch und von keiner Empirie gedeckt ist in erster Linie doch das Institutsbashing selbst. Wer die Bücher der Absolventen tatsächlich liest, fragt sich schon, ob da nicht einfach ein genereller Trend der letzten Jahre falsch zugeordnet wurde. Was haben Autoren wie Stanišic, Pletzinger, Brodowsky, Klupp, Hefter, Roßbacher, Randt mit Konformismus zu tun? Ich komme gerade von einem Seminar am Schweizerischen Literaturinstitut zurück, die schreiben Lyrik und Kürzestprosa. Ein Schielen nach dem Markt jedenfalls erkenne ich da nicht. Und den Wunsch nach Kriegsreportagen kann ich einfach nicht mehr hören.
Wie werden Sie mit dem E-Book/Ipad-Book umgehen? Bislang hat sich ja auch DuMont wie viele mittlere Verlage nicht gerade auf dieses Marktsegment gestürzt.
Das tun wir jetzt. Wir haben immer ein besonderes Vergnügen daran gehabt, schöne Bücher zu gestalten, und werden das auch weiterhin tun. Aber es spricht nichts dagegen, aus praktischen Erwägungen beide Leseweisen parallel anzubieten. Auf dem Weg in die Schweiz habe ich ein halbes Dutzend Manuskripte gelesen, daran hätte ich ohne E-Book schwer zu tragen gehabt.
Zu welchen Konditionen? Gleich teuer wie die gedruckte Ausgabe? Haben Sie keine Angst vor den Tauschbörsen?
Die Preisfindung für E-Books beschäftigt die Verlage weltweit. Im Augenblick gehen wir davon aus, dass sich hierzulande ein Downloadpreis einpendelt, der zehn bis zwanzig Prozent unter dem Preis der Buchausgabe liegt. Und natürlich versuchen wir, möglichst wenige Fehler der Musikindustrie zu wiederholen. Die Musikindustrie allerdings lächelt über dieses Ansinnen.
Was ist leichter, was schwieriger daran, einen Buchverlag zu leiten, der zu einem großen Medien-/Zeitungskonzern gehört?
Seit der Gründung des Buchverlags vor mehr als fünfzig Jahren hat das Mutterhaus es immer wieder ermöglicht, außergewöhnliche Bücher zu machen, die etwas bewegt haben. Das ist eine Rückendeckung, die ausgesprochen hilfreich ist. Darüber hinaus nutzen wir verstärkt auch die alltäglichen Vorteile, im Sachbuch erscheinen Bücher, die von Journalisten der Zeitungsgruppe geschrieben wurden, wir machen gemeinsame Veranstaltungen und vieles mehr. Das Feuilleton selbst ist unabhängig genug, es nicht zu Verwechslungen kommen zu lassen.
Vor einiger Zeit hat das Mutterhaus dem Buchverlag auch finanziell unter die Arme gegriffen. Ist das zurzeit auch nötig? Wie stark ist die Wirtschaftskrise im Verlag zu spüren? Ist noch etwas vom „Feuchtgebiete“-Polster, dem Bestseller Charlotte Roches, übrig?
Auch die Buchbranche spürt die Wirtschaftskrise - obwohl man sich von kaum einem anderen Medium so günstig gewinnbringend anregen und unterhalten lassen kann wie von einem Buch. Jedenfalls ist es auch in Zeiten, in denen man durch Einzelerfolge besser dasteht, ein gutes Gefühl, jemanden hinter sich zu wissen.
Sie haben es im F.A.Z.-Expertinnen-Ranking zum zweitschönsten Lektor Deutschlands gebracht. Bei der Wahl zum schönsten Verleger gibt es aber keine ernstzunehmende Konkurrenz, oder?
Darüber schweige ich mit Wallace Stevens: „Beauty is momentary in the mind.“ Für einen richtigen Verlegerdarsteller fehlen mir ohnehin noch die Ärmelschoner.



Die Fragen stellte Oliver Jungen


Bildmaterial: Frank Schinski

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