søndag den 20. juni 2010

ny roman af Katharina Hacker


Katharina Hacker: Mit den Erdbeeren wachsen
Mit den Erdbeeren wachsen
Erst gewann sie den Deutschen Buchpreis, dann hatte sie einen Riesenkrach mit Suhrkamp wegen ihres letzten Romans. Jetzt erscheint die neue Erzählung von Katharina Hacker: leicht, klug und im besten Sinne unzeitgemäß.
Von Friedmar Apel
Es geht allen gut - eigentlich
So ist es gut, dass Katharina Hackers erstes Buch im neuen Verlag von diesen Aspekten nicht berührt wird. Allerdings geht es in „Die Erdbeeren von Antons Mutter“ wieder um die kleine Gruppe von kinderlosen Vierzigjährigen, die in Schöneberg und Kreuzberg leben und arbeiten und sonntags um den Schlachtensee in Zehlendorf spazieren, denen es eigentlich gutgeht und die trotzdem eigentümlich heikel und gefährdet sind. Dennoch handelt es sich dabei nicht um einen Teil der Trilogie, sondern um eine in sich geschlossene Erzählung, die im Wesentlichen der Definition der Novelle entspricht. Obwohl einige Ereignisse aus „Alix, Anton und die anderen“ als Zitate eine Rolle für den Hintergrund der Beunruhigung spielen, darunter der Mord in einem vietnamesischen Restaurant, wird die Kenntnis des Buchs nicht vorausgesetzt.
Die Handlung wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, die Gleichzeitigkeit von äußeren und inneren Geschehnissen wird kunstvoll, aber in herkömmlicher Textdarbietung exponiert. Im Vordergrund richtet sich der Blick auf Anton, den in Kreuzberg praktizierenden Allgemeinarzt. Er hatte sich in die übersensible Alix verliebt wie gleichzeitig sein Freund Jan, ihr aber zu dessen Gunsten entsagt. Durch einen Zusammenstoß beim Radfahren lernt Anton Lydia kennen und lieben. Noch bevor er mit ihrer kleinen Tochter Bekanntschaft machen darf, hofft er auf eine gemeinsame Wohnung und Veränderung seines Lebens.
Wie düngt man den Acker des Lebens?

Auf Antons Verheiratung und auf Enkelkinder warten daheim in Calberlah bei Wolfsburg schon lange Antons Eltern Hilde und Wilhelm, aber noch ist es zu früh, ihnen Lydia vorzustellen. Hilde schickt Anton und seinen Freunden jedes Jahr Erdbeermarmelade aus den Früchten, die sie auf ihrem ererbten Acker anbaut. Dieses Jahr aber hat sie vergessen, die Erdbeeren rechtzeitig zu pflanzen. Anton überredet den Bauern Helmer, bereits angegangene Stauden heimlich in Hildes Beet einzusetzen. Gegen dessen gärtnerische Prognose reifen die Früchte, während Anton einsehen muss, dass seine Eltern an schnell fortschreitender Demenz erkrankt sind. Mit „Bangigkeit, mit Schrecken und schlechtem Gewissen“ wird ihm im Anblick seiner Mutter fasslich, wie einem das Leben enteignet werden kann.
Zudem bricht Lydias Vergangenheit ins Geschehen ein. Sie war mit Rüdiger zusammen, der vor dem Leben in der deutschen Provinz in die Fremdenlegion geflüchtet war und sich hernach als Söldner auf den internationalen Schlachtfeldern die Identität gehärtet hatte. Auch in Berlin trägt er noch Camouflagehosen. Die Trennung von Lydia und dem Kind kann er dennoch nicht verwinden. Sie hatte ihn in der Schwangerschaft verlassen, um ihr eigenes, von Verwahrlosung bedrohtes Leben wieder in Ordnung zu bringen. Rüdiger zur Seite steht Martin, sein ehemaliger Pilot, ein kleiner Mann, der unbeauftragt meint, Lydia vor Anton beschützen zu müssen. Überdies wird er auf seltsamen Wegen dessen Mutter zum Spiegel, in dem sie der Versäumnisse ihres Lebens noch einmal ansichtig wird, während ihr Gedächtnis zunehmend versagt.
Die dämonische Seite der Erdbeere
In raffinierter Engführung setzt die Erzählerin die Stimmen und Geschehnisse in Beziehung zueinander. Während die Erdbeeren wachsen, wächst Antons Liebes zu Lydia, wächst die Sorge um die Eltern, wächst die Angst vor einer diffusen Bedrohung, vor der ihn auch die alten Freunde nicht bewahren können. In Katharina Hackers poetischem Realismus werden Befindlichkeiten in der Abbildung auf die sichtbare Welt bis hinein in die Dinge des täglichen Gebrauchs zur sinnlichen Gewissheit. Die Erdbeeren erscheinen schließlich als dämonisch schillernde Symbole der Gleichzeitigkeit allen Werdens und Vergehens, von Hingabe und Vergeblichkeit, von Lust und Liebe, Angst und Trägheit des Herzens.
Auf dem Acker bei Calberlah ist denn auch das Feld bereitet, auf dem alle Personen und Handlungsstränge zusammengeführt werden. Die „unerhörte Begebenheit“ nach Goethes Definition der Novelle aber hat sich als unberechneter Einbruch der Natur in die menschliche Einrichtung bereits ereignet. Unter dem Blattwerk werden nun nur noch die Folgen von Antons mitleidigem Betrugsmanöver sichtbar. Da gehen alle nach Hause und fühlen sich als Besiegte, obwohl ein schlimmes Unglück nicht geschehen ist. Nur Martin, „das bucklicht Männlein“, bleibt noch eine Weile auf dem Acker stehen und bedenkt, dass eine Zeit nun vorüber ist. Nun gilt es, neu zu beginnen.
Die Aufgabe hat erst begonnen
Die Erzählung ist unaufdringlich, aber unverkennbar auch ein Lehrstück über die Liebe als Medium der Wahrnehmung, das eine unzeitgemäße Ernsthaftigkeit nicht scheut. Die Liebe mag kommen wie eine Naturkraft, belebend, beseelend und verändernd oder verfehlt, beängstigend und zerstörerisch. Sie zu läutern, zu bewahren und ihre Früchtchen zu schützen, ihre modernen Gefährdungen auszuhalten, Widersprüche zu ertragen und zu gestalten erscheint als nie endende Aufgabe. Wie und ob die Menschen in Katharina Hackers Romanwerk sie bewältigen, wird den Leser nach dieser meisterlichen und ergreifenden Novelle umso mehr interessieren.
Katharina Hacker: „Die Erdbeeren von Antons Mutter“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 176 S., geb., kr. 158,- inkl. moms



Buchtitel: Die Erdbeeren von Antons Mutter
Buchautor: Hacker, Katharina

Text: F.A.Z.

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