fredag den 8. oktober 2010

NOBELPRIS til VARGAS LLOSA


Literaturnobelpreis für Vargas Llosa
Die Verteidigung der Freiheit
In Mario Vargas Lllosa verbinden sich glücklich ein ästhetischer und ein politischer Geist. Die ideologischen Verirrungen seiner Heimat machten ihn zu einem glühenden Verteidiger individueller Freiheit, der die ganze Weite liberalen Denkens durchmisst. Aus einer Laudatio von Frank Schirrmacher.

Mit Worten gegen Worte kämpfen: Mario Vargas Llosa
08. Oktober 2010 „Romane zu schreiben“, so hat er einmal notiert, „ist ein Aufstand gegen die Wirklichkeit, gegen Gott, gegen die Schöpfung Gottes, die die Wirklichkeit ist.“ Literatur ist ein Aufstand, das heißt: ein Akt der Befreiung. Sie versorgt mit Alternativen, Optionen, aber ehe sie es tut, muss sie den Mut haben, das was ist, nicht als etwas anzuerkennen, was notwendig so und nicht anders sein kann. Das ist ästhetisches Allgemeinwissen. In die Sprache der Politik und Gesellschaft übertragen aber heißt das, es ist die Geburt des Individuums aus dem Geist einer Rebellion. Anders als es die schöngeistigen Schwärmer meinen, befeuert diesen Aufstand nicht nur die Suche nach den letzten Wahrheiten, nach Gott, nach der Schönheit. Das alles sind Ewigkeitsfragen.

Es geht auch eine Nummer kleiner. Es geht darum, dass man das Vorhandene in Frage stellt, weil man will, das es dem Individuum besser geht: geistig - gewiss -, aber auch sozial und ökonomisch. Viele Schriftsteller haben im totalitären zwanzigsten Jahrhundert daraus den Schluss gezogen, kollektivistische Ideologien seien gleichsam die realpolitische Version der literarischen Utopie. Ich kenne nur wenige, die zu einer Zeit, als noch großer Mut zu diesem „Aufstand“ gehörte, den anderen Weg gingen: die die bescheidene Frage nach dem kleinen Glück stellten; die Respekt hatten vor dem Willen und Wollen des Einzelnen und seiner Sehnsucht nach Wohlfahrt. Für die Jahre zwischen 1960 und 1989 kenne ich nur einen, der über literarischen Weltrang verfügt, einen, der wusste, wovon er redet, weil er aus einer Gegend stammt, die seit Generationen zum Laboratorium von Ideologien und Diktaturen geworden ist: Mario Vargas Llosa.


Mario Vargas Llosa und Frank Schirrmacher bei der Verleihung des Freiheitspreises in der Frankfurter Paulskirche
Es muss Anfang der achtziger Jahre gewesen sein, als ich ihn zum ersten Mal traf, im Hause von Siegfried Unseld, der in Deutschland sein kongenialer Verleger wurde. Es war ein Abendessen. Am Tisch wurde politisiert. Einer, ein typischer westeuropäischer Intellektueller der damaligen Zeit, beklagte das Ausbleiben der sozialistischen Revolution in Südamerika und fragte Llosa, in völliger Verkennung seines Gesprächspartners, ob dieses Ausbleiben nicht die Tragödie seines Kontinents sei. Darauf Llosa: „Ich glaube, der typische Südamerikaner will nicht so leben wie in Kuba oder in der DDR. Ich glaube, der typische Südamerikaner würde gerne so leben wie Sie.“

Die Lehre aus dem Zerfall
Mit sechsundzwanzig Jahren veröffentlicht Mario Vargas Llosa seinen ersten Roman und betritt sofort, nein, nicht die Bühne der Literatur, sondern die der Weltliteratur. 1962 war das, und mit Recht spricht einer seiner großen Bewunderer, Daniel Kehlmann, von einem in jeder Hinsicht „ungeheuerlichen Werk“.
„Die Stadt und die Hunde“ erzählt, basierend auf eigenen Erfahrungen, vom brutalen Alltag in einer peruanischen Militärschule. Wer den europäischen Schulroman kennt, von den berühmten Passagen in den „Buddenbrooks“ bis zum „Schüler Gerber“, der lese dieses Buch: Hier wird eine Sozialisation, eine Prägung beschrieben, für die das Vokabular zivilisierter Unterdrückungssysteme nicht mehr ausreicht. Es ist jenseits davon.

Vor einem Jahr hat Llosa diesem Erstling gleichsam aus dem Rückblick geantwortet, mit seinem gleichfalls autobiographischen Roman „Das böse Mädchen“. Hier spannt sich die Handlungszeit von den fünfziger bis in die späten achtziger Jahre. Es ist eine Rekapitulation von Geschichte aus der Perspektive des halben Emigranten, überreich, um das nur beiläufig zu erwähnen, an jenem Humor, der für Llosa typisch ist, eine Gesellschafts- und Mentalitätsgeschichte im kleinen, vor allem eine Liebesgeschichte. Aber zugleich ist es eine politische und eine Wirtschaftsgeschichte.

Im Hintergrund des Romans nämlich spielt sich der politische und ökonomische Verfall von Peru ab, und hier geht es um Dinge, die wir heute ein klein bisschen anders lesen als zuvor. Der Onkel des Erzählers berichtet in Briefen über die Lage in der Heimat, am Schluss nur noch mit kaum leserlicher Schrift, und der Erzähler ist, während er als Kosmopolit in der Welt unterwegs ist, und nun hören wir Llosa selbst, „Schritt für Schritt den wirtschaftlichen Katastrophen gefolgt - Inflation, Verstaatlichung, Bruch mit den Kreditorganisationen, Preis- und Devisenkontrolle, Rückgang der Beschäftigung und des Lebensstandards -, die Alan Garcias Maßnahmen dem Land bescherten“.

Ein engagierter Literat
Man muss daran erinnern, dass Llosa im März 1988 die Freiheitsbewegung „Moviemento Libertad“ gründet und im Juli 1989 die Präsidentschaftskandidatur für Liberale und Bürgerliche in der FREDEMO übernahm. Einer der Gründe war die von Garcia durchgeführte Verstaatlichung der Banken und die Aussicht, das sein potentieller Nachfolger Fujimori die Dinge radikalisieren würde. Llosa behielt Recht; das Fujimori-Regime drohte mit der Aberkennung seiner Staatsbürgerschaft, und auch die Tatsache, das Fujimori später mit Haftbefehl gesucht wurde, war keine Genugtuung, sondern nur eine traurige Bestätigung eines Mannes, der nicht bestätigt werden wollte.

Llosa gehört wie die anderen großen südamerikanischen Autoren, man denke an Borges und Cortazar, zu jener Riege literarischer Begabungen, die die Immigrations- und Erlebniswelt Südamerikas mit Europa und vor allem der europäischen Intelligenz der fünfziger und sechziger Jahre verband. Wie fast alle seiner Generation hat auch ihn Sartres Satz der engagierten Literatur erreicht, die Aufforderung und die Hoffnung, durch Literatur Gesellschaft verändern zu können.

Noch heute bekennt sich Llosa zu Sartre, aber nicht dem politischen Sartre, sondern dem Glauben an die bewusstseinsverändernde Kraft von Literatur. Nur dass er sich auf die Seite des Individuums geschlagen hat und die Kollektive mit Misstrauen, ja Furcht betrachtet: Kein anderer hat so ein sicheres Gespür für die Diktatur im Zustand der Verpuppung, für eine humanitätstriefende Rhetorik, in der in Wahrheit sich bereits der Totalitarismus verpuppt. Es sind ja Worte, die die Diktatoren aller Länder und Ideologien, missbrauchen, Worte der Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit. Wenn das so ist, das ist die gedankliche Operation Llosas, können Worte gegen die Worte etwas ausrichten.

Der weite Sinn des Liberalismus
Es ist nicht gut und vielleicht ein historischer Fehler, dass in Deutschland seit einigen Jahren Liberalismus nur mit Wirtschaftsliberalismus assoziiert wird. Dadurch konnte es geschehen, dass die große Tradition des liberalen Gedankens wie der Bewusstseinskern des Kapitalismus selbst wirken konnte. „Diese Sicht der Dinge“, so schreibt Llosa, „ist nicht weniger dumm, als das, was die Marxisten einst gepredigt haben. Die Marxisten erklären alles ökonomisch, und mache Liberale glauben, der Markt könne aller Probleme Herr werden. Aber kein einziger großer Liberaler hat so primitiv argumentiert.“

Literatur ist ein Verfahren der Freiheitsherstellung, so kann man ihn zusammenfassen, weil sie das tut, was jedes Kind kennt, was am Anfang jeder Karriere, jedes Aufstiegs, jeder Selbsterfindung steht: Sie sieht in der Wirklichkeit eine Maschinerie von Lebensmöglichkeiten, von Optionen, nicht von Einschränkungen. „Der richtig verstandene Liberalismus“, schreibt Llosa, „ist eben keine Ideologie, sondern ein offenes, der Selbstkritik verpflichtetes Ideensystem.

Seine modernitätsstiftende Kraft beruht unbestritten darauf, dass aus ihm die Grundideen hervorgegangen sind, die unsere demokratischen Gesellschaften prägen: die Menschenrechte, die Freiheit der Meinungsäußerung, die Anerkennung von Verschiedenheit, Toleranz, Gewaltenteilung und Misstrauen gegenüber jeder Art von zu großer politischer Macht“. Für solche Gedanken wurde Llosa von manchen Kollegen hart, zuweilen oft ungerecht kritisiert. Gerade in Deutschland ist ihm der Tadel manchen Großschriftstellers zuteil geworden, der die bequeme Teilung der Welt in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse, in Sozialismus und Kapitalismus gefährdet sah.

Verteidigung vor dem Totalitären
Diese Kritik verkennt, dass das Wort, das im genannten Zitat und im Werk Llosas eine bedeutende Rolle spielt, ein Hauptwort ist: Selbstkritik. Llosa ist ein unbequemer Alliierter, und als jemand, der aus den Medien kommt, weiß ich, wovon ich rede. Man lese nach, wie er die Freiheit der Meinungsäußerung gegen den Missbrauch dieser Meinungsäußerung abgrenzt. Mario Vargas Llosa ist der Autor des Individuums und der Verteidiger seiner individuellen Freiheit - er schreibt, in einem Wort, die Gegenerzählung zu den totalitären und kollektivistischen Manipulationen unserer Zeit.

„Wir haben uns geirrt“, so sagte er einmal. „Die Menschen brauchen Religion.“ Er meint damit nicht Religion im engen, klassischen Sinn. Er meint Religion im Wortsinne, als Rückbindung des Menschen. Auch Religionen überliefern sich in Büchern, und die Nähe der großen Erzählungen über den Menschen ist groß, ganz gleich, ob sie aus der Welt des Profanen oder der Welt des Sakralen kommen. Llosa, ein Bibliophiler von Rang, der eine Bibliothek von achtzehntausend Bänden sein eigen nennt, zeigt gerade weil er ein Mann der Freiheit ist, den Anwälten der reinen Geldakkumulation, des Materialismus, der Verschwendung, dass Liberalismus ohne Aufstand, ohne Selbstkritik und ohne tiefen Respekt vor dem Geistigen im wahrsten Sinne des Wortes undenkbar ist. Dies wäre auch in Deutschland zu verstehen: Ein Liberalismus, der nur auf Talkshows und Reformrhetorik setzt, reicht nicht aus. Er muss die Gesellschaft neu denken, er muss in der unüberschaubaren Komplexität der modernen Welt den Menschen an sich selbst erinnern.

Ein anderer großer südamerikanischer Schriftsteller, einer, den Vargas Llosa bewundert, obwohl er ganz anders ist als er, der große Realist, der Argentinier Jorge Luis Borges, erzählt folgende Geschichte:„Im Morgengrauen träumte ihm, dass er sich in einer der Höhlen der clementinischen Bibliothek befindet. ,Was suchst du?‘, fragte ihn ein Bibliothekar, der eine schwarze Brille trug. ,Ich suche Gott‘, antwortet Hladik. ,Gott‘, antwortet der Bibliothekar, ,ist einer der Buchstaben auf einer der Seiten in einem der vierhunderttausend Bände in der clementinischen Bibliothek. Meine Eltern und die Eltern meiner Eltern haben diese Buchstaben gesucht. Ich selbst bin blind geworden bei der Suche nach ihm‘.“
Wir sagen nicht, dass Mario Vargas Llosa ihn gefunden hat, den Buchstaben. Das wäre vermessen. Aber wir sagen, dass er uns alle auf die Suche nach ihm sehend gemacht hat.


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Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der F.A.Z., hielt diese Laudatio im Jahr 2008 anlässlich der Vergabe des Freiheitspreises der Friedrich-Naumann-Stiftung an Mario Vargas Llosa.



Text: FAZ.NET
Bildmaterial: picture-alliance/ dpa, Wonge Bergmann

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