søndag den 20. juni 2010

ny roman af Katharina Hacker


Katharina Hacker: Mit den Erdbeeren wachsen
Mit den Erdbeeren wachsen
Erst gewann sie den Deutschen Buchpreis, dann hatte sie einen Riesenkrach mit Suhrkamp wegen ihres letzten Romans. Jetzt erscheint die neue Erzählung von Katharina Hacker: leicht, klug und im besten Sinne unzeitgemäß.
Von Friedmar Apel
Es geht allen gut - eigentlich
So ist es gut, dass Katharina Hackers erstes Buch im neuen Verlag von diesen Aspekten nicht berührt wird. Allerdings geht es in „Die Erdbeeren von Antons Mutter“ wieder um die kleine Gruppe von kinderlosen Vierzigjährigen, die in Schöneberg und Kreuzberg leben und arbeiten und sonntags um den Schlachtensee in Zehlendorf spazieren, denen es eigentlich gutgeht und die trotzdem eigentümlich heikel und gefährdet sind. Dennoch handelt es sich dabei nicht um einen Teil der Trilogie, sondern um eine in sich geschlossene Erzählung, die im Wesentlichen der Definition der Novelle entspricht. Obwohl einige Ereignisse aus „Alix, Anton und die anderen“ als Zitate eine Rolle für den Hintergrund der Beunruhigung spielen, darunter der Mord in einem vietnamesischen Restaurant, wird die Kenntnis des Buchs nicht vorausgesetzt.
Die Handlung wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, die Gleichzeitigkeit von äußeren und inneren Geschehnissen wird kunstvoll, aber in herkömmlicher Textdarbietung exponiert. Im Vordergrund richtet sich der Blick auf Anton, den in Kreuzberg praktizierenden Allgemeinarzt. Er hatte sich in die übersensible Alix verliebt wie gleichzeitig sein Freund Jan, ihr aber zu dessen Gunsten entsagt. Durch einen Zusammenstoß beim Radfahren lernt Anton Lydia kennen und lieben. Noch bevor er mit ihrer kleinen Tochter Bekanntschaft machen darf, hofft er auf eine gemeinsame Wohnung und Veränderung seines Lebens.
Wie düngt man den Acker des Lebens?

Auf Antons Verheiratung und auf Enkelkinder warten daheim in Calberlah bei Wolfsburg schon lange Antons Eltern Hilde und Wilhelm, aber noch ist es zu früh, ihnen Lydia vorzustellen. Hilde schickt Anton und seinen Freunden jedes Jahr Erdbeermarmelade aus den Früchten, die sie auf ihrem ererbten Acker anbaut. Dieses Jahr aber hat sie vergessen, die Erdbeeren rechtzeitig zu pflanzen. Anton überredet den Bauern Helmer, bereits angegangene Stauden heimlich in Hildes Beet einzusetzen. Gegen dessen gärtnerische Prognose reifen die Früchte, während Anton einsehen muss, dass seine Eltern an schnell fortschreitender Demenz erkrankt sind. Mit „Bangigkeit, mit Schrecken und schlechtem Gewissen“ wird ihm im Anblick seiner Mutter fasslich, wie einem das Leben enteignet werden kann.
Zudem bricht Lydias Vergangenheit ins Geschehen ein. Sie war mit Rüdiger zusammen, der vor dem Leben in der deutschen Provinz in die Fremdenlegion geflüchtet war und sich hernach als Söldner auf den internationalen Schlachtfeldern die Identität gehärtet hatte. Auch in Berlin trägt er noch Camouflagehosen. Die Trennung von Lydia und dem Kind kann er dennoch nicht verwinden. Sie hatte ihn in der Schwangerschaft verlassen, um ihr eigenes, von Verwahrlosung bedrohtes Leben wieder in Ordnung zu bringen. Rüdiger zur Seite steht Martin, sein ehemaliger Pilot, ein kleiner Mann, der unbeauftragt meint, Lydia vor Anton beschützen zu müssen. Überdies wird er auf seltsamen Wegen dessen Mutter zum Spiegel, in dem sie der Versäumnisse ihres Lebens noch einmal ansichtig wird, während ihr Gedächtnis zunehmend versagt.
Die dämonische Seite der Erdbeere
In raffinierter Engführung setzt die Erzählerin die Stimmen und Geschehnisse in Beziehung zueinander. Während die Erdbeeren wachsen, wächst Antons Liebes zu Lydia, wächst die Sorge um die Eltern, wächst die Angst vor einer diffusen Bedrohung, vor der ihn auch die alten Freunde nicht bewahren können. In Katharina Hackers poetischem Realismus werden Befindlichkeiten in der Abbildung auf die sichtbare Welt bis hinein in die Dinge des täglichen Gebrauchs zur sinnlichen Gewissheit. Die Erdbeeren erscheinen schließlich als dämonisch schillernde Symbole der Gleichzeitigkeit allen Werdens und Vergehens, von Hingabe und Vergeblichkeit, von Lust und Liebe, Angst und Trägheit des Herzens.
Auf dem Acker bei Calberlah ist denn auch das Feld bereitet, auf dem alle Personen und Handlungsstränge zusammengeführt werden. Die „unerhörte Begebenheit“ nach Goethes Definition der Novelle aber hat sich als unberechneter Einbruch der Natur in die menschliche Einrichtung bereits ereignet. Unter dem Blattwerk werden nun nur noch die Folgen von Antons mitleidigem Betrugsmanöver sichtbar. Da gehen alle nach Hause und fühlen sich als Besiegte, obwohl ein schlimmes Unglück nicht geschehen ist. Nur Martin, „das bucklicht Männlein“, bleibt noch eine Weile auf dem Acker stehen und bedenkt, dass eine Zeit nun vorüber ist. Nun gilt es, neu zu beginnen.
Die Aufgabe hat erst begonnen
Die Erzählung ist unaufdringlich, aber unverkennbar auch ein Lehrstück über die Liebe als Medium der Wahrnehmung, das eine unzeitgemäße Ernsthaftigkeit nicht scheut. Die Liebe mag kommen wie eine Naturkraft, belebend, beseelend und verändernd oder verfehlt, beängstigend und zerstörerisch. Sie zu läutern, zu bewahren und ihre Früchtchen zu schützen, ihre modernen Gefährdungen auszuhalten, Widersprüche zu ertragen und zu gestalten erscheint als nie endende Aufgabe. Wie und ob die Menschen in Katharina Hackers Romanwerk sie bewältigen, wird den Leser nach dieser meisterlichen und ergreifenden Novelle umso mehr interessieren.
Katharina Hacker: „Die Erdbeeren von Antons Mutter“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 176 S., geb., kr. 158,- inkl. moms



Buchtitel: Die Erdbeeren von Antons Mutter
Buchautor: Hacker, Katharina

Text: F.A.Z.

ny Christa Wolf,


Christa Wolf: Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud
Mein Schutzengel nimmt es mit jedem Raumschiff auf
Gerichtet? Gerettet! Christa Wolf erinnert sich in ihrem autobiographischen Buch an eine tiefe Krise ihres Lebens, aber entdeckt am Rande der westlichen Welt überraschend eine Hoffnung auf Erlösung.
Von Richard Kämmerlings

Wenige Seiten zuvor erinnert sich Christa Wolf an den 4. November 1989, an die Veranstaltung auf dem Alexanderplatz, an ihre Rede, an einen Moment, in dem für sie blitzartig die Utopie eines wahren Sozialismus zu greifen nah war. Der historische Augenblick, in dem die Geschichte märchenhaft, glücklich ausgeht: „Ihn miterlebt zu haben, dachtest du, dafür hatte alles sich gelohnt.“ Nun, knapp drei Jahre später, hat Christa Wolf eine doppelte Kränkung erlebt. Die Bevölkerung der DDR hatte mehrheitlich ganz andere Sehnsüchte, als jene, den wahren Sozialismus endlich verwirklichen zu dürfen. Und Christa Wolf selbst wurde, als Autorin und als Intellektuelle, Gegenstand des sogenannten deutsch-deutschen Literaturstreits. Mit dem Ende des Staats, an den sie bei aller inneren Distanz bis zuletzt festgehalten hatte, verlor sie auch die stets als selbstverständlich hingenommene Rolle als repräsentative Figur – die sie freilich für viele ihrer ostdeutschen Leser bis heute blieb, gerade wegen dieses von nur allzu leicht nachvollziehbaren Erfahrung eines Statusverlusts im wiedervereinigten Deutschland.
Im Hotel „Ms. Victoria“
1992 nun sitzt Christa Wolf in einem schrulligen Hotel mit dem zufällig passenden oder gut ausgedachten Namen „Ms. Victoria“, macht sich ziemlich ess- und trinkfreudig mit der Konsumkultur des siegreichen Kapitalismus vertraut, schließt Freundschaften mit ihren Ko-Stipendiaten sowie einer Reihe deutsch-jüdischer Emigranten und beschäftigt sich auf Einladung der Getty Stiftung mit einem neuen erzählerischen Projekt: Ihre verstorbene Freundin Emma hatte ihr ein Konvolut von Briefen einer gewissen L. vermacht, einer in den dreißiger Jahren nach Kalifornien emigrierten Psychoanalytikerin. Christa Wolf begibt sich auf eine biographische Spurensuche, die an die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen erinnert: Nicht einmal den vollen Namen jener L. kennt sie.
Wie in ihren kanonischen Werken wie „Nachdenken über Christa T.“ oder „Kindheitsmuster“ entzieht sich auch dieses Buch eindeutigen Kategorisierungen. Dass der Verlag es auf der Buchrückseite (und nur da) „Roman“ nennt, ist wohl eine Panne. Christa Wolf mischt Reisebericht, Tagebuch, Erinnerungspassagen, Traumerzählungen und auch eindeutig fiktive Passagen. Auch die Rätselgeschichte der L. rundet sich nicht wirklich, die Gestalt bleibt seltsam unkonturiert (obwohl es eine überraschende Lösung gibt).
Kritik am Kapitalismus
Für den Leser ist das zunächst ziemlich mühsam, zumal man sich neben manchen sehr banalen Alltagsbeobachtungen (die übertriebenen Freundlichkeit der Amerikaner, ihre merkwürdigen Frühstücksgewohnheiten etc.) und der erwartbaren (aber deswegen nicht falschen) Kritik an sozialen Missständen und am exzessiven Konsumfetischismus des Westens auch durch wirklich Ärgerliches beißen muss: Wenn etwa die jungen Amerikaner am Getty-Center erklären, sie müssten das Land verlassen, falls Clinton nicht die Wahl gewinne, die Atmosphäre sei „denunziatorisch“ und man wisse selbst in den Universitäten nicht mehr, mit wem man noch offen sprechen könne: „Davon höre man im Ausland wohl wenig? – In der Tat, sagte ich.“ Es ist schon ein starkes Stück, so eine Parallele zu totalitären Verhältnissen zu suggerieren. So gibt es einige Stellen, bei denen man nicht mehr viel Kredit gewähren will. Und doch, man sollte es tun.
Denn so nach etwa hundert, hundertfünfzig Seiten nimmt diese Prosa langsam Fahrt auf, werden die motivischen Verknüpfungen dichter, der Ton dringlicher und direkter. Die Erzählerin wird nach und nach per Fax über die heftigen und größtenteils vernichtenden Reaktionen auf das Bekanntwerden ihrer „Täterakte“ informiert, die sie bereits vorher eingesehen hatte. Als „IM Margarete“ war sie von 1959 bis 1962 bei der Staatssicherheit geführt worden. Obwohl sie sich angesichts der (verglichen mit dem Umfang ihrer „Opferakte“) kaum ins Gewicht fallenden Fakten einer fortgesetzten Medienkampagne ausgesetzt sieht, stürzt sie fern von Deutschland, „am Rand der Welt“ in eine tiefe Krise, die immer tiefer um eine Frage kreist: „Wie hatte ich das vergessen können? Ich wusste ja, dass man mir das nicht glauben konnte, man warf es mir sogar als mein eigentliches Vergehen vor – Vergehen, was für ein schönes deutsches Wort.“
Dauermonolog im Kopf
Dieser für die Erzählerin selbst rätselhafte Lapsus der Erinnerung ist der heiße, magmaförmige Kern des Buchs. Immer wieder ist von der gastgebenden Institution, unter anderen ja einem großen Archiv, als dem „CENTER“ (in Versalien) die Rede, und unaufhörlich wird das Tun und Treiben der Gegenwart von der Arbeit an der Vergangenheit überlagert, ein Film im Kopf, ein Monolog in Endlosschleife. Christa Wolf ruft sich die Aufbaujahre, ihre Jugend als überzeugte, ja fanatisierte Genossin ins Gedächtnis, eine illegale Tätigkeit als Agitatorin in West-Berlin, die Begegnung mit großen Vorbildern wie Louis Fürnberg, aber auch spätere Zäsuren, allen voran die Tage nach der Biermann-Ausbürgerung, als sie trotz des gewaltigen Drucks an ihrer Unterschrift unter den Protestbrief festhielt.
Der titelgebende Mantel Sigmund Freuds wird zum paradoxen Bild dieser bohrenden Selbstbefragung: Sein Schutz ist nur zu haben um den Preis völliger Entäußerung. Die Krise kulminiert in einer ekstatischen Nacht, in der Christa Wolf nach ein paar Whisky das Klingeln des Telefons ignoriert („Berlin“ steht hier stets für familiäre Bindungen), Freuds Mantel zu sich sprechen hört und dann – singt: „alle Lieder, die ich kannte, und ich kenne viele Lieder mit vielen Strophen“. Die nun folgende Aufzählung aller Volks-, Kinder-, Kampf- und Kirchenlieder ist der Höhepunkt des Buchs, eine Krisis als Wendepunkt und zugleich die im Unterbewussten abgelegte Summe eines ganzen Lebens.
Psychoanalytische Ästhetik
„Stadt der Engel“ folgt, und so kann man es leicht unterschätzen, einer psychoanalytischen Ästhetik: Gerade das Beiläufige, der Witz, der Versprecher, der Traum legen die verschüttete Wahrheit frei. Das Buch enthält auch eine nie ausgesprochene Liebesgeschichte. Der verkrachte Kollege Peter Gutman, der selbst unglücklich in eine Dritte verliebt zu sein behauptet, wird für die Erzählerin zu einem Seelenverwandten, dessen eigenes Scheitern – er verzweifelt über der Biographie eines Philosophen – die Selbstzweifel Christa Wolfs spiegelt und zugleich ins Existentielle aufhebt. Nebenbei ist dieses Umeinanderkreisen und intellektuelle Turteln auch ein leichtfüßiger Ausgleich für die Schwermut und drohende Resignation.
Gutman ist es auch, der das entscheidende Stichwort liefert, den Verweis auf Walter Benjamins Engel der Geschichte, der unaufhaltsam vorwärtsgetrieben wird, auf die Katastrophen der Menschheit zurückblicken muss und nichts heilen kann. (Ein anderes Benjamin-Zitat ist dem Buch als Motto vorangestellt.)
Einbruch des Phantastischen
Doch tritt neben diesen Geschichtspessimismus eine christliche Erlösungshoffnung. Bei einem touristischen Besuch in der „First African Methodist Episcopal Church“ wird die Erzählerin mitgerissen und empfängt sogar die Kommunion. In der Predigt geht es um das Wunder der Sündenvergebung. Nach diesem Ereignis begleitet sie eine Schwarze namens Angelina, ein „Schutzengel“ auf Schritt und Tritt, es gibt sogar eine gemeinsame Flugstunde, als wäre das Raumschiff Enterprise plötzlich in Malibu am Start.
Dieser Umschlag ins Phantastische kommt überraschend, doch so eben so plötzlich müsste auch nach Benjamin der Eintritt des Erlösers in die Geschichte sein. Ein merkwürdiges, ein bemerkenswertes Buch, eine Rettung.
Christa Wolf: "Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud". Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 416 S., geb. kr. 219,- inkl. moms



Buchtitel: Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud
Buchautor: Christa Wolf

fredag den 11. juni 2010

Psychothriller


Sebastian Fitzek
Der Augensammler Psychothriller.
gebunden kr 148,50 inkl. moms

Er spielt das älteste Spiel der Welt: Verstecken. Er spielt es mit deinen Kindern. Er gibt dir 45 Stunden, sie zu finden. Doch deine Suche wird ewig dauern. Erst tötet er die Mutter, dann verschleppt er das Kind und gibt dem Vater 45 Stunden Zeit für die Suche. Das ist seine Methode. Nach Ablauf der Frist stirbt das Opfer in seinem Versteck. Doch damit ist das Grauen nicht vorbei: Den aufgefundenen Kinderleichen fehlt jeweils das linke Auge. Bislang hat der "Augensammler" keine brauchbare Spur hinterlassen. Da meldet sich eine mysteriöse Zeugin: Alina Gregoriev, eine blinde Physiotherapeutin, die behauptet, durch bloße Körperberührungen in die Vergangenheit ihrer Patienten sehen zu können. Und gestern habe sie womöglich den Augensammler behandelt ...

lørdag den 5. juni 2010

fremtidens forlagspolitik




Jo Lendle im Gespräch
„Wir werden weniger Bücher machen!“



Weniger Bücher, dafür mehr Nähe zu den Lesern: Diese Vorsätze sollen den DuMont Buchverlag in Schwung bringen. Wie Jo Lendle Masse durch Klasse ersetzen will, erklärt der neue Verlagsleiter in einem Gespräch mit der F.A.Z.

Unerbittliche Subjektivität: Jo Lendle gibt seinen Lesern nur das, was er will
26. Mai 2010
Vor dreizehn Jahren hat der DuMont Buchverlag sein literarisches Programm gestartet. Seit dieser Zeit bestimmte Jo Lendle das literarische Profil des Kölner Verlags mit, zuletzt als Programmleiter für deutschsprachige Literatur. Jetzt hat der 1968 geborene Lendle, der auch selbst als Autor erfolgreich ist - „Unter Mardern“ (1999), „Die Kosmonautin“ (2008), „Mein letzter Versuch die Welt zu retten“ (2009) -, die Verlegerische Geschäftsführung für das Literatur- und Sachbuchprogramm des DuMont Buchverlags übernommen.
Im April ist der bisherige Verlegerische Geschäftsführer des DuMont Buchverlags, Lutz Wolff (66), auf eigenen Wunsch aus dem Verlag ausgeschieden. Das war insofern überraschend, als er erst ein Jahr zuvor - nach seiner Pensionierung als Lektor beim Deutschen Taschenbuch Verlag - zu DuMont gekommen war und große Pläne mit dem Verlag hatte. Offenbar gab es Unstimmigkeiten bezüglich der Programmausrichtung. Im Frieden geschieden ist man jedenfalls nicht, auch wenn dies nur hinter den Kulissen geäußert wird. Wie es nun weitergeht mit dem Literatur- und dem Sachbuchprogramm von DuMont, wie man sich im Hinblick auf die elektronischen Lesegeräte neu positioniert und wie der Aufstieg zum verlegerischen Geschäftsführer seine eigene Wahrnehmung verändert hat, erzählt Jo Lendle im Interview.

Sie kennen den Verlag, den Sie nun leiten, seit vielen Jahren als Lektor. Wie groß ist die Umstellung? Konnte es sich der Lektor leisten, parteiischer zu sein?
Der Lektor muss sogar parteiischer sein, er ist ein Minister, der für sein Ressort kämpft. Andererseits haben wir bei DuMont die Grenzen zwischen den Lektoraten immer schon recht offen gelassen, da ist der Innenminister nicht weniger stolz auf einen übersetzten Roman, und der Außenminister betreut auch mal einen deutschsprachigen Autor.
Haben Sie in Ihrer neuen Position ein Vorbild? Einen der großen alten Verleger?
Siegfried Unseld bin ich zum ersten Mal als Praktikant auf der Herrentoilette des Suhrkamp Verlags begegnet. Ein vergleichsweise unauratischer Moment. Dennoch gehört er zweifellos zu den Verlegern, denen für ihre Autorenliste Bewunderung gebührt. Das Bild des Verlegers prägen die Monarchen noch heute - auch wenn mir manche große Geste inzwischen nicht mehr notwendig erscheint. Am Ende findet jeder selbst seinen Stil. Ich habe einige Briefwechsel der großen Verlagspatrone gelesen, das betrachtet man jetzt mit anderen, verständnisvolleren Augen.
Und wie ist das mit Suhrkamp heute? Sehen Sie im Umzug nach Berlin Mitte die ersehnte Rückkehr in die Mitte der Intelligenzia?
Bei Suhrkamp erscheint nach wie vor ein erheblicher Teil der wichtigen Gegenwartsliteratur. Das ist es, was am Ende zählt. Es wäre vermessen, zu erwarten, dass es einem Verlag über Generationen hinweg gelingt, das literarische Gespräch zu monopolisieren.
In Berlin wohnen ja auch viele der DuMont-Autoren. Dann vielleicht noch einige in anderen Großstädten, aber kaum einer in Köln. Der Buchverlag bleibt aber fest an seinen Stammsitz gebunden?
Es soll DuMont-Autoren geben, die außerhalb Berlins leben? Überhaupt Schriftsteller in anderen Städten? Davon hätte ich gehört. Manuskripteinsendungen ordnen wir inzwischen nicht mehr nach dem Alphabet, sondern nach Berliner Bezirken, weil von anderswo kaum mehr etwas kommt. Ein Vorteil Berlins sind die unkomplizierten Autorenbesuche: Einfach auf der Kollwitzstraße in die Sonne setzen, und bevor man ausgetrunken hat, sind alle schon vorbeigekommen. Zum Lesen kehrt man dann ganz gerne an den Rhein zurück.
Die Königsfrage: Werden Sie dem Publikum geben, was es will oder was Sie für richtig halten?
Unerbittliche Subjektivität, ohne dass man das gleich Sendungsbewusstsein nennen muss. Aber es bleibt doch festzuhalten: Geliebt wurden nur diejenigen unserer Bücher, an denen wir selber Feuer gefangen hatten. Wann immer wir einmal mit einem Buch auf ein imaginiertes Publikum schielten, sind wir am Ende drauf sitzengeblieben.
Ihr Kurzzeit-Vorgänger hat bei seiner Amtseinführung eine neue Taschenbuchreihe angekündigt. Haben Sie ebenfalls ein neues Projekt im Sinn oder eine Kurskorrektur vor?
Wenn ich hier alles neu erfinden müsste, hätte ich in den vergangenen Jahren schlecht gearbeitet. Was bereits feststeht: Wir werden weniger Bücher machen, und wir werden bei jedem einzelnen überlegen, wie es zu seinen Lesern findet. Das sind die beiden edelsten Aufgaben eines Verlags: Auswahl und Begleitung. Was die programmatischen Korrekturen angeht: Zuletzt wurden auch Bücher eingekauft, die recht pur auf Unterhaltendes setzen. Das erwartet hier keiner, davon verstehen andere mehr. Jedes Buch muss Besonderheiten haben, Eigenwilligkeiten, sonst müssen wir es nicht machen. Im Sachbuch werden wir weniger Lebenserinnerungen bringen, das mag am gesunkenen Durchschnittsalter im Verlag liegen. Letztlich aber helfen allgemeine Absichtserklärungen in der Literatur ohnehin nicht weiter, da erkennt man die Handschrift am einzelnen Buch.
Gegen die Routine also...
Das Schöne an der Kunst ist ja ohnehin: Routine geht unter. Ich hege große Sympathien für den Namen der langjährigen mexikanischen Regierungspartei: Institutionalisierte Revolution. Wer sich im Buchgeschäft nicht halbjährlich neu erfindet, verliert. Das macht die Sache unberechenbar, aber aufregend. Das vor wenigen Wochen gestartete Taschenbuch schenkt uns zumindest einen Bodensatz an Planbarkeit.
Die Taschenbuch-Idee führen Sie weiter? Wird nach und nach die Backlist im Taschenbuch neu erscheinen?
Mit unserem Taschenbuch werden wir die eigenen Titel tatsächlich vermehrt im Haus halten. Hinzu kommen Originalausgaben und einzelne zugekaufte Lizenzen. Das ist ein spannendes Spielfeld und lädt ein zu allerlei Neuerfindungen - im Herbst erscheint etwa Haruki Murakamis „Schlaf“, dessen nachtblau-silberne Illustrationen so schön sind, dass wir auch das Taschenbuch durchgehend zweifarbig drucken.
Trennen sich im DuMont Buchverlag die Sparten Literatur/Sachbuch und Kunst wieder stärker?
Die Entscheidung, das Kunstprogramm in die Hände eines eigenen Verlegers zu legen, ist sicherlich der Einsicht geschuldet, dass illustrierte Bücher ein völlig anderes Denken erfordern, vom Finden, Kalkulieren und Produzieren der Bücher bis zu ihrem Verkauf. In den letzten Jahren kamen die Verleger von der Literatur, das hat der Kunstsparte nicht immer geholfen.
Wird der Anteil deutschsprachiger Literatur bei DuMont abnehmen, gleich bleiben oder zunehmen gegenüber den Übersetzungen?
Ach, die deutschsprachigen Autoren liegen mir schon besonders am Herzen, nicht nur, weil ich von Anfang an in erster Linie für diese Bücher zuständig war. Das sind einmalige Beziehungen, diese Autoren prägen den Verlag ganz wesentlich. In reinen Zahlen aber wird das Verhältnis zu den Übersetzungen einigermaßen stabil bleiben - auch wenn das Verlegen übersetzter Titel im Zuge der aktuellen Rechtsprechung ein erhebliches Risiko birgt.
Sollte die deutschsprachige Gegenwartsliteratur Ihrer Meinung nach stärker protegiert werden von Verlagen im deutschsprachigen Raum? Schließlich geht es um den eigenen Nachwuchs.
Protektion klingt so nach Käfighaltung. Sicherlich hat auch jeder Sportverein eine Verantwortung für die eigene E-Jugend, aber deshalb sollten die Ansprüche nicht sinken. Das Entdecken eines noch ungedruckten Manuskripts beschert zweifellos das intensivste Glücksgefühl, das unsere Branche zu geben hat. Seit wir hier vor zwölf Jahren mit der Literatur begonnen haben, legen wir besonderen Wert auf deutschsprachige Debüts - ob das nun John von Düffel oder Tilman Rammstedt waren, deren erste Bücher hier erschienen. Solche Entdeckungen verspreche ich auch weiterhin.
Was ist in diesem Zusammenhang von dem Versuch der beiden deutschen Literaturlehranstalten in Leipzig und Hildesheim zu halten? Ein gewisser Konformismus fällt ja auf, eine Beschreibungsintensität ohne allzu tiefe Grundlage.
Wirklich konformistisch und von keiner Empirie gedeckt ist in erster Linie doch das Institutsbashing selbst. Wer die Bücher der Absolventen tatsächlich liest, fragt sich schon, ob da nicht einfach ein genereller Trend der letzten Jahre falsch zugeordnet wurde. Was haben Autoren wie Stanišic, Pletzinger, Brodowsky, Klupp, Hefter, Roßbacher, Randt mit Konformismus zu tun? Ich komme gerade von einem Seminar am Schweizerischen Literaturinstitut zurück, die schreiben Lyrik und Kürzestprosa. Ein Schielen nach dem Markt jedenfalls erkenne ich da nicht. Und den Wunsch nach Kriegsreportagen kann ich einfach nicht mehr hören.
Wie werden Sie mit dem E-Book/Ipad-Book umgehen? Bislang hat sich ja auch DuMont wie viele mittlere Verlage nicht gerade auf dieses Marktsegment gestürzt.
Das tun wir jetzt. Wir haben immer ein besonderes Vergnügen daran gehabt, schöne Bücher zu gestalten, und werden das auch weiterhin tun. Aber es spricht nichts dagegen, aus praktischen Erwägungen beide Leseweisen parallel anzubieten. Auf dem Weg in die Schweiz habe ich ein halbes Dutzend Manuskripte gelesen, daran hätte ich ohne E-Book schwer zu tragen gehabt.
Zu welchen Konditionen? Gleich teuer wie die gedruckte Ausgabe? Haben Sie keine Angst vor den Tauschbörsen?
Die Preisfindung für E-Books beschäftigt die Verlage weltweit. Im Augenblick gehen wir davon aus, dass sich hierzulande ein Downloadpreis einpendelt, der zehn bis zwanzig Prozent unter dem Preis der Buchausgabe liegt. Und natürlich versuchen wir, möglichst wenige Fehler der Musikindustrie zu wiederholen. Die Musikindustrie allerdings lächelt über dieses Ansinnen.
Was ist leichter, was schwieriger daran, einen Buchverlag zu leiten, der zu einem großen Medien-/Zeitungskonzern gehört?
Seit der Gründung des Buchverlags vor mehr als fünfzig Jahren hat das Mutterhaus es immer wieder ermöglicht, außergewöhnliche Bücher zu machen, die etwas bewegt haben. Das ist eine Rückendeckung, die ausgesprochen hilfreich ist. Darüber hinaus nutzen wir verstärkt auch die alltäglichen Vorteile, im Sachbuch erscheinen Bücher, die von Journalisten der Zeitungsgruppe geschrieben wurden, wir machen gemeinsame Veranstaltungen und vieles mehr. Das Feuilleton selbst ist unabhängig genug, es nicht zu Verwechslungen kommen zu lassen.
Vor einiger Zeit hat das Mutterhaus dem Buchverlag auch finanziell unter die Arme gegriffen. Ist das zurzeit auch nötig? Wie stark ist die Wirtschaftskrise im Verlag zu spüren? Ist noch etwas vom „Feuchtgebiete“-Polster, dem Bestseller Charlotte Roches, übrig?
Auch die Buchbranche spürt die Wirtschaftskrise - obwohl man sich von kaum einem anderen Medium so günstig gewinnbringend anregen und unterhalten lassen kann wie von einem Buch. Jedenfalls ist es auch in Zeiten, in denen man durch Einzelerfolge besser dasteht, ein gutes Gefühl, jemanden hinter sich zu wissen.
Sie haben es im F.A.Z.-Expertinnen-Ranking zum zweitschönsten Lektor Deutschlands gebracht. Bei der Wahl zum schönsten Verleger gibt es aber keine ernstzunehmende Konkurrenz, oder?
Darüber schweige ich mit Wallace Stevens: „Beauty is momentary in the mind.“ Für einen richtigen Verlegerdarsteller fehlen mir ohnehin noch die Ärmelschoner.



Die Fragen stellte Oliver Jungen


Bildmaterial: Frank Schinski

onsdag den 2. juni 2010

alperepublikkens levebrød





Banken ohne Geheimnisse
Was vom Swiss Banking übrig bleibt.
2. Auflage.
gebunden kr. 218,- inkl. moms




Der Preis des Größenwahns


Nirgends auf der Welt hat der Finanzsektor eine solch dominante Stellung wie in der Schweiz. Die Banken sind zum wirtschaftlichen Großrisiko geworden. Und zu einer gewaltigen politischen Macht. Wie es dazu kam, erklärt Wirtschaftsjournalist Philipp Löpfe mit großer Sachkenntnis und einfacher Sprache. Der Fächer wird weit gespannt: Von den glorreichen Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg über die Globalisierung der Finanzströme bis hin zu den jüngsten Attacken auf den Finanzplatz Schweiz reichen die Geschichten, die Löpfe mit unterhaltsamen Anekdoten erzählt. Wer dieses Buch liest, erfährt, wie das Bankgeheimnis zum Trumpf des neutralen Landes wurde und weshalb es in Zeiten der Globalisierung keine Zukunft mehr hat