lørdag den 16. juli 2016

Er war ein Großer der europäischen Literatur, wer ihn las, bekam Flügel. Danke für alles, Péter Esterházy.



Zum Tode Péter Esterházys: Wenn Unsterbliche sterben

Ein Nachruf von Terézia Mora

Die Zeit hat nicht gereicht, dass wir, die wir ihn schätzten und liebten, es hätten glauben können, dass Bauchspeicheldrüsenkrebs auch jemanden wie ihn töten kann. So etwas kam uns, ehrlich gesagt, nie in den Sinn. Dass er sterblich sein könnte wie jeder andere Mensch auch.
Wir, die wir eine Generation jünger (und dazu Ungarn, schreibende wie lesende) sind, sind alle auf die eine oder andere Weise seinem Mantel entstiegen. Als ich aufwuchs, in den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts, waren die meisten Haushalte, die ich kannte, proletarisch, die Staatsform war Diktatur, aber Bücher waren billig, und Péter Esterházy konnte verlegt werden.

Ab dem zweiten Buch (dem von mir später übersetzten "Produktionsroman") hat meine Mutter alle seine Bücher gekauft. Ich las hinein, aber da ich ein Kind war, verstand ich nichts. "Wir finden keine Worte. Wie versteinert sind wir. Erschrocken plinkern wir: Sollten wir dermaßen unserer Lust-und-Laune ausgeliefert sein?"

Als Studentin nahm ich diese frühen Bücher wieder zur Hand und habe selten so gelacht. Aber das war immer noch nicht der Moment, da er mir als Autor unverzichtbar wichtig wurde. Ich war lediglich endlich in der Lage, ihn zu lesen. Als ich schließlich 30 wurde, übersetzte ich das erste Mal etwas von ihm. Es war sein großer Roman: "Harmonia Caelestis". Danach war ich endgültig frei.

Esterházys Sätze sind so, dass sie das in einem befreien, was befreit werden kann. Sätze wie diese: "1917, also gerade noch rechtzeitig, denn damals ging gerade alles zu Ende, damit neue Allesse anfangen konnten, erschien meinem Vater in Felsogalla die Jungfrau (hier: Maria), um ihm drei Geheimnisse anzuvertrauen..."

Solche Sätze voller Mut und Witz, Geist und Heiterkeit, Demut und Selbstironie, mit ihren Registerwechseln und der bis an ihre Grenzen gedehnten, aber niemals überdehnten Grammatik (denn es ist eine Frage der Berufsehre, darauf zu achten, dass "der Nebensatz nicht im Hauptsatz schlackert wie ein schlechtes Scharnier") haben mich zu der Erkenntnis gebracht, dass es keinen Grund auf dieser Welt gibt, nicht alles mit einem Satz zu machen, nicht alles von sich hineinzulegen, was einem nur möglich ist. Sätze, die den Blick (und somit die Handlungsmöglichkeiten, innerhalb und außerhalb des Satzes) erweitern, anstatt ihn einzuengen.

Esterházy gelesen und übersetzt zu haben hat mir Flügel verliehen. "Man muss alles versuchen. In die Sackgassen muss man auf ganz neue Weise hineinspazieren", steht in "Einführung in die schöne Literatur".

Als ich das gelesen habe, habe ich verstanden, was es war, was mich lähmte, damals, in den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts, als die meisten Haushalte proletarisch und die Staatsform Diktatur war. Ich hatte kein Vertrauen, keinen Halt. Ich hatte Angst. Aber ab nun hatte ich keine mehr. Ab nun hatte ich auch eine Stabilität gefunden, die Esterházy scheinbar von Haus aus mitgebracht hatte.

In ihm war all das stabil, was in mir, anfangs, ganz und gar nicht stabil war. Gott, Vaterland, Familie, Worte. Er hatte diesen Kern, ohne dass ihn das unbeweglich gemacht hätte. Die große Schwäche vieler Konservativer (und verbohrter Liberaler; ja, die gibt es auch): seine Werte so ängstlich zu hüten, dass man sich kaum zu rühren traut. Als müsste man befürchten, das zu knappe Fähnchen, in das man sich hüllt, könnte verrutschen und einen entblößen. (Als was? Als der, der man ist. "Jeder ist ein Mensch, der ein Mensch ist.") Lösung: nicht zu knapp, nicht zu steif. Es ist erlaubt, seine Nichtallwissenheit, sein Im-Prozess-Sein offenzulegen. Nicht, sie als Ausrede zu benutzen. Das käme sowieso heraus, denn es kommt immer alles heraus.

Sprachlich und ethisch unsere Instanz

Seitdem ich das verinnerlicht habe, schreibe ich anders und nehme auch alle Sätze, die andere produzieren, anders wahr. "Harmonia Caelestis" zu übersetzen hat mir als junge Autorin geholfen zu sehen: Hier liegt die Messlatte. Der Moment, wenn man sich als Künstler einen Meinvater adoptiert. Und wie mir ging es den meisten, die ihn je gelesen haben. Er war und ist immer noch unsere Instanz, sprachlich und (bzw.: also) ethisch.
"Ein Schriftsteller hat nicht in Volk und Nation, sondern in Subjekt und Prädikat zu denken" bzw. "Über einem gewissen Niveau begeben wir uns nicht unter ein gewisses Niveau".
Was dieses hier so schwierig macht, ist, dass ich das Privileg hatte, nicht nur seine Texte, sondern auch ihn persönlich kennenzulernen, und er zu allem Überfluss auch noch ein zauberhafter Mensch war und mir deswegen fehlen wird, solange ich lebe.

Es gibt seine Texte, das ist großartig. Aber er wird mir fehlen. Wie vielen. Wir sind viele, die an ihn wie an ein Familienmitglied denken. Man hat Sachen von ihm gelernt wie von einem Meinvater. Dass die Arbeit zählt, zum Beispiel. Wie die Arbeit ist. Wobei die meisten Autoren, die ich kenne, fleißig sind und (nicht mehr ganz so viele, aber immerhin einige) auch demütig. Die Sprache, die sich in Gottes Nähe befindet, und ich, die ich versuche, in die Nähe der Sprache zu kommen. "Am bezauberndsten können Atheisten das Wort Gott aussprechen."

Wir haben allen Grund, dankbar zu sein: für sein Werk und für seine Person. Natürlich: Er hatte es leicht. Er ist so geboren. Und dazu hat er sich auch noch Mühe gegeben. Wir anderen müssen uns eben noch etwas mehr Mühe geben.
Ich verspreche, mir Mühe zu geben.
 
Ich glaube nicht daran, dass wir uns wiedersehen. Ich bedauere das wirklich. Ich muss jetzt eine viel längere Zeit ohne dich leben, als ich immer dachte. Ich und die anderen, denen es ebenso geht, wir müssen uns nun damit begnügen, was noch möglich ist: An dich denken, dich lesen, dich weiter als die Instanz ehren, die du für uns geworden bist.
Dein Wort gilt. Wenn wir uns daran halten, wird es uns besser gehen, das wenigstens ist garantiert. Danke für alles. Ruhe in Frieden.

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